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Nachlassende Unterstützung Die Ukraine baut ihre Rüstungsindustrie aus – für den Notfall

Westliche Stimmen, die sich gegen Militärhilfe aussprechen, werden lauter. Die Ukraine versucht, sich selbst zu helfen.

Die Ukraine hat Grund, sich um den Nachschub an Waffen im Abnützungskrieg zu sorgen. Doch westliche Staatsoberhäupter, die sich gegen mehr Ukraine-Hilfen aussprechen, häufen sich.

Eine viel diskutierte Lösung für dieses Problem ist der Ausbau der eigenen Rüstungsindustrie – wie die Drohnenproduktion. Sie steckt noch in den Kinderschuhen. Start-ups stellen die Drohnen in kleinen, versteckten Manufakturen her, damit die russischen Streitkräfte sie nicht finden.

Rheinmetall hat angebissen

Hinzu kommt: Der ukrainische, staatliche Rüstungskonzern Ukroboronprom ist heruntergewirtschaftet. Seine neuen Raketen sollen zwar russische Schiffe versenken können. Die wenigen Waffen reichen aber nicht, um Putins Heer zu begegnen.

Mit einem neu lancierten Waffenforum will der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski internationale Rüstungsfirmen motivieren, in der Ukraine zu investieren. Ihnen verkauft er die ukrainische Not als Tugend. «Die weltweiten Standards in Rüstungsfragen werden gerade in der Ukraine bestimmt», so Selenski.

Der neue Industrieminister Oleksandr Kamyschin soll nach der Eisenbahn auch die Rüstungsindustrie aufbauen. «Ich denke, wir können den Herstellern unsere Kampferfahrung bringen. Die ukrainische Rüstungsindustrie kann integraler Teil der europäischen Rüstungsindustrie werden», sagt Kamyschin.

Angebissen hat der deutsche Waffenhersteller Rheinmetall. In einer ukrainisch-deutschen Firma soll es zum Technologietransfer kommen. «Die Ukraine hat eine sehr gute Basis. Die waren tatsächlich eine Waffenschmiede in der Sowjetunion», sagt der Chef von Rheinmetall, Armin Papperger.

Vor dem Krieg verfügte die Ukraine aus Sowjetzeiten im Süden und Osten noch über grosse Kapazitäten in der Maschinenbau- und Metallindustrie. Doch genau diese Industrieregionen traf der Krieg besonders. Sinnbild dafür war das über Monate umkämpfte und völlig zerstörte Stahlwerk in Mariupol.

Wer will in ein Kriegsland investieren?

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Nur Rüstungsbetriebe, deren Engagement durch eine Art Kriegsversicherung gedeckt sei, beantwortet Politökonomin Inna Melnykovska die Frage. «Weil sobald dieses Projekt bekannt wird, ist es voraussehbar, dass sich die russischen Angriffe gezielt darauf fokussieren werden.»

Zweitens brauche man auch eine gewisse Risikoabsicherung gegen Produktionsausfälle, die die Zulieferungskette betreffen, fügt die Politökonomin an.

Selbst wenn die Ukraine mehr baut: Könnte sie gegen die russische Rüstungsindustrie bestehen? Russische Produktionskapazitäten zu schätzen, sei schwierig, sagt Tomas Malmlöf von der schwedischen Forschungsanstalt für Verteidigung (FOI). Sein Institut versuchte es trotzdem. Laut dem Analysten hätten viele unterschätzt, wie stark Russland ausbauen könne: «Die russischen Rüstungsfirmen arbeiten nun in drei statt in einer Schicht, sagen die Russen. Sie behalten alle Waffen, statt zu exportieren, und kauften gar ihre verkauften Waffen zurück.»

Gemäss Malmlöf veranstaltet Putin im Frühling wohl noch «Pseudo-Wahlen». Danach dürfte er Russland noch stärker auf Kriegswirtschaft trimmen. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass die ukrainischen Produktionskapazitäten die Russischen übertreffen können», so der Analyst.

Die Ukraine soll die eigene Sicherheit selbst gewährleisten, was eine Illusion ist.
Autor: Inna Melnykovska Politökonomin

Hat Selenskis Vorhaben also wenig Erfolgschancen? Viele westliche Stimmen unterstützen seine Initiative trotzdem. Dies machen sie wohl auch aus Eigeninteresse, sagt die Politökonomin Inna Melnykovska. Westliche Politiker bräuchten Lösungen, wenn die innenpolitische Bereitschaft für Waffenlieferungen schwinde: «Man möchte sich eventuell aus dem Geschehen der Ukraine zurückziehen. Und die Ukraine soll die eigene Sicherheit selbst gewährleisten, was an sich eine Illusion ist.»

Ganz ohne Waffenlieferungen kann die Ukraine wohl nie bestehen. Trotzdem baut sie, was sie kann, damit sie so lange wie nötig alleine überleben kann.

Tagesschau, 25.11.2023, 19:30 Uhr

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