Es ist dunkel auf der Kommandobrücke des finnischen Kriegsschiffes Katanpää. Ein bisschen Helligkeit kommt einzig von den Bildschirmen. Das Radar zeigt gerade eine Autofähre, einen Containerfrachter und mehrere Dutzend weitere Schiffe. Die Ostsee ist eines der meistbefahrenen Meere der Welt. Zu jedem Zeitpunkt sind mehr als 2000 grössere Schiffe unterwegs. Am Horizont sind schwach die Lichter an der dänischen Küste auszumachen.
Geredet wird wenig – wie in einem Aki-Kaurismäki-Film. Die Atmosphäre auf der Brücke ist professionell, konzentriert. Wachtmeister Kurt ist während dieser Schicht der Navigator. Zuvor, in der Messe, dem Essraum, hat er erzählt, warum er bei der finnischen Marine anheuerte: «Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist der Krieg auf einmal ganz nahe gerückt. Wir alle stellen fest: Ein Krieg kann auch uns betreffen. Ganz plötzlich.» Ursprünglich wollte der Unteroffizier im Geschäftsleben Karriere machen: «Doch ich suchte nach einer Aufgabe, die wirklich Sinn macht. Und entschied mich daher nach meinem Pflichtwehrdienst für eine Laufbahn als Berufssoldat.» Für Finnland sei stets kennzeichnend gewesen, in Zeiten der Bedrohung zusammenzustehen und sich zu wehren.
«Wachposten in der Ostsee»
Die «Katanpää» ist nun drei Monate lang unterwegs als Teil des Nato-Einsatzes «Wachposten in der Ostsee». Momentan führt sie Seemanöver durch, mit Kriegsschiffen aus Lettland, Deutschland, Polen, Schweden, Dänemark, Frankreich und Kanada. Geübt werden die gemeinsame Navigation, die Kommunikation oder die Fliegerabwehr.
Ständig gibt es Signale, Durchsagen, Funksprüche. Doch vorläufig keinerlei Feindkontakt. Will heissen: «Die Russen sind weder in der Luft noch auf See in der Nähe. Doch das ist nur eine Frage der Zeit», sagt Kommandant Markus Tarkka.
Viele in der Nato dachten, die Ostsee werde nach dem Allianzbeitritt Finnlands und Schweden zu einem «Nato-Binnensee». Genau das passt den Russen nicht, sie zeigen weiterhin, ja erst recht Flagge. Und zwar, anders als viele vermuten, nicht mit Schrottkähnen aus der Sowjetzeit, sondern mit modernen Kriegsschiffen. Immerhin: «In der Regel sind sie nicht aggressiv. Doch es gibt Ausnahmen», sagt der stellvertretende Kommandant der «Katanpää», Toni Tidenberg
Häufung von Sabotageakten
Irritierende Annäherungen an Schiffe und Flugzeuge der Nato haben sich gehäuft. Die Navigation, auch jene der Zivilluftfahrt, wurde mehrfach gestört. In weniger als zwei Jahren gab es fast zwanzig Zwischenfälle, darunter Sabotageakte gegen Pipelines, Strom- und Datenkabel auf dem Meeresgrund. Fast immer wiesen die Spuren nach Moskau. Dazu kommen die Hunderte von Schiffen der Schattenflotte, mit der die Russen trotz der Sanktionen Öl exportieren.
Kriegsschiff Katanpää
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Bild 1 von 4. … und wenn die Technik ausfällt? Trotz moderner Navigationsgeräte bleiben Seekarten unverzichtbar. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 4. So gross wie ein Zürichseeschiff: Die finnische «Katanpää» ist eigentlich ein Minenräumschiff, ist nun aber Teil der Nato-Mission «Wachposten in der Ostsee». Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 4. Vorbei die Zeiten, als die Ostsee als rundum friedliche Weltgegend galt. Bildquelle: SRF.
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Bild 4 von 4. Wenig Platz für 40 Marinesoldaten: Kriegsschiffe sind stets vollgepfercht mit Technik und Gerätschaften. Bildquelle: SRF.
Um Sabotage zu vereiteln, kann man die Tiefseeinfrastruktur mit Stahl oder Beton ummanteln. Man kann die Fähigkeit, rasch zu reparieren, erhöhen. Man kann Parallelleitungen bauen. Und man kann die Ostsee stärker überwachen, mit Flugzeugen oder Schiffen. Keine dieser Massnahmen ist einfach, keine ist billig. «Für die Meeresüberwachung, auf dem und unter Wasser», so Vizekommandant Tidenberg, «eignen sich nach wie vor Schiffe am besten.»
Die «Katanpää» ist dafür wie geschaffen. Eigentlich ein Minenräumer, ist sie mit 54 Metern Länge etwa so gross wie ein Zürichsee-Schiff. Und ausgerüstet mit hervorragenden Beobachtungsgeräten, wie bei einem Besuch des streng gesicherten Überwachungsraum mit mehreren Dutzend Bildschirmen zu sehen ist.
Fotografieren und filmen ist hier verboten. Der Feind soll nicht erfahren, was man hier wie präzis mitbekommt. «Wir sehen alles», sagt Kommandant Tarkka nüchtern, aber stolz: «Für die Datenanalyse dient vermehrt künstliche Intelligenz. Doch am Ende ist die Erfahrung von Profis unverzichtbar. Die künstliche Intelligenz identifiziert meist viel zu viele Auffälligkeiten an Pipelines und Kabeln, die sich am Ende als harmlos erweisen. Würden wir allein auf sie vertrauen, müssten wir fortwährend Unterwasserdrohnen oder Taucher losschicken.» Drohnen wiederum sehen viel, aber Arbeiten ausführen auf dem Meeresgrund, können sie noch nicht, sagt ein 29-jähriger Marinetaucher-Leutnant. Die Drohnen sind im Bauch der «Katanpää» geparkt. Manche sehe aus wie Torpedos; eine knallgelbe gleicht einem Jahrmarkt-Autoscooter: «Sie liefern exzellente Bilder», so Kommandant Tarkka.
Wir sehen alles.
Oben an Deck halten derweil zwei Soldaten mit geschultertem Gewehr Ausschau nach ungewöhnlichen Vorgängen. Aktuell sei die Alarmstufe niedrig. Aber wichtig sei, sagt einer der beiden: «Wenn sich irgendetwas abspielt, sind wir da. Jetzt beobachten wir bloss. Und warten ab.» Die grösseren Geschütze sind gerichtet. Doch geschossen wird heute nicht, auch nicht mit Übungsmunition. Denn zurzeit passiert nichts, wie sehr oft. Der Wachdienst erscheint dann lang und öde.
Ostsee wird überwacht
«Auf den Nato-Schiffen wissen wir von all den Tausenden von regulären Schiffsbewegungen», sagt Toni Tidenberg. Man weiss Bescheid über Abgangs- und Ankunftshäfen, über Routen und Beladung. Was nicht der Norm entspricht, fällt auf. Etwa Schiffe, die mit über Dutzende von Kilometern über den Meeresgrund geschleppten Ankern Leitungen zerstören. Man kann sie beobachten, vielleicht vertreiben. Hingegen ausserhalb nationaler Hoheitsgewässer nicht einfach entern oder abschleppen.
Am Ende des Manövertages werden alle beteiligten Nato-Schiffe auf hoher See aneinander vertäut. Das sieht eindrücklich aus. Wie bestellt tritt auch noch die Sonne hinter den Wolken hervor. Dann schiessen Luftdrohnen Bilder. «Es sind PR-Bilder», sagt Vizekommandant Tidenberg auf Deck, wo der Wind scharf bläst: «Es geht darum, allen zu zeigen, dass wir da sind, dass wir wachsam sind.» Adressat ist natürlich der Kreml: «Die Russen beobachten uns ... und wir sie.»
Alltag auf dem Kriegsschiff
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Bild 1 von 3. Drei Monate im Einsatz, fern von Zuhause, da kommts für die Stimmung aufs Essen an: Die Kombüse, heute gibts Currywurst. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 3. Moderne Unterwasserdrohnen können vieles, doch ohne Marinetaucher gehts nicht: Die Taucherglocke zur Dekompression. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 3. Es geht auch um Abschreckung: 9 Nato-Kriegsschiffe machen sich bereit zum Posieren. Hauptadressat der Demonstration ist der Kreml. Bildquelle: SRF.
Und wie steht es um den Erfolg der Operation? Seit Beginn der Nato-Mission «Baltic Sentry» vor acht Monaten gab es keine bedeutenden Sabotageakte und -versuche mehr. Das garantiert nicht, dass es so bleibt. Doch es gibt beim Einlaufen kurz vor Mitternacht in den Militärhafen Kiel der vierzigköpfigen Besatzung der «Katanpää» die Genugtuung, dass ihr Einsatz sinnvoll ist.