Tataren an der Wolga, Tschetschenen im Kaukasus, Tschuktschen, Sacha oder Burjaten in Sibirien: Russland ist ein multiethnisches Land. Ein Fünftel der Bevölkerung ist nicht ethnisch russisch. Der Zusammenhalt der Völker ist dem Kreml ein Anliegen, denn seine Macht hängt unter anderem auch davon ab. Jetzt setzt sich Wladimir Putin mit zwei neuen Feiertagen symbolisch für Russlands Minderheiten ein.
Doch seine Grossmachtpolitik beruht auf einem russisch-nationalistischen Weltbild, das der Krieg gegen die Ukraine nur verstärkt hat: Im Zusammenhang mit den neuen Feiertagen sprach sich Putin für die Förderung der russischen Sprache in der besetzten Ostukraine aus. Faktisch bedeutet das die Unterdrückung der ukrainischen Sprache und Identität.
Gewaltsam unterworfene Ethnien
Auch um die Indigenen Russlands steht es schlecht. Die vielfältigen Völker Sibiriens wurden vom Zarenreich meist gewaltsam unterworfen und leben bis heute am Rand der Gesellschaft. Sie würden unter dem nationalistischen Kurs des Kremls und der Rekrutierung für die Armee leiden, sagt Marijana Kazarowa, UNO-Sonderberichterstatterin zur Menschenrechtslage in Russland.
Unter ethnischen Minderheiten wird überproportional rekrutiert. Einige Volksgruppen drohen deswegen auszusterben.
«Die russischen Behörden haben die grossen Städte bei der Mobilmachung vergleichsweise verschont», sagt sie gegenüber SRF. «Dafür wird unter ethnischen Minderheiten überproportional rekrutiert. Einige kleinere Volksgruppen drohen deswegen sogar auszusterben.»
Dem pflichtet der indigene Aktivist Pawel Suljandsiga bei. Er stammt aus dem Volk der Udehe, die entlang des Flusses Amur nahe der Grenze zu China leben. «Von uns Udehe gibt es etwa 1800. Das sind 4 Dörfer. Für uns zählt jeder Mensch», sagt er.
Durch den Dienst in der Armee wollen manche Indigene beweisen, dass auch sie vollwertige Bürger Russlands sind.
Er wisse von mindestens 14 Udehe, die in der Ukraine entweder getötet worden oder verschollen seien. «Männer in der Blüte des Lebens», sagt Suljandsiga. Doch weil die meisten Indigenen in Armut lebten, sei ein lukrativer Soldatenvertrag verlockend. «Ausserdem leiden viele unter der Diskriminierung. Und durch den Dienst in der Armee wollen sie beweisen, dass auch sie vollwertige Bürger Russlands sind.»
Infiltration durch den Inlandsgeheimdienst
Pawel Suljandsiga setzt sich seit Jahren für Russlands Indigene ein. Bis 2010 war er Vizepräsident von Raipon, der wichtigsten Indigenen-Organisation Russlands.
«Die Behörden machten immer Druck auf uns», stellt er fest. «Der Geheimdienst lud unsere Praktikanten vor und drängte sie, uns auszuspionieren. Schliesslich gelang es dem Staat, loyale Figuren an die Spitze unserer Organisation zu setzen. Diese wurden auch belohnt: Eine wurde gar Senatsabgeordnete für ihre Region im Nordosten Russlands.»
Aktivisten gelten jetzt als «Extremisten»
Der Druck auf Indigene in Russland nimmt zu: 2024 wurden Dutzende Aktivistengruppen als «extremistisch» eingestuft und verboten. Doch es gehe dem Kreml nicht nur darum, Widerstand zu ersticken, sagt Suljandsiga.
Wegen des Kriegs sei Russland aus vielen internationalen Foren ausgeschlossen – doch in jenen, wo Indigene vertreten sind, sei Moskau noch dabei. «Aus dem Arktischen Rat oder aus dem UNO-Forum für Indigene kann man Russland nicht ausschliessen. Denn damit wären hunderte bedrohte Völker ausgeschlossen. Diese Plattformen nutzt der Kreml für seine Propaganda.»
Russlands Indigene sind dem Kreml also nützlich. Als Dank erhalten sie kaum mehr als zwei hohle Feiertage.