Vom Osloer Schlossberg schweift der Blick über die Innenstadt. Hier wurde vor über 70 Jahren die Rückkehr des Königs aus dem britischen Exil von Hunderttausenden gefeiert, nachdem das langgezogene Land am Polarkreis zuvor fünf Jahre lang von Hitler-Deutschland besetzt gewesen war.
Der König als Symbol der nationalen Unabhängigkeit liegt den Norwegern ebenso am Herzen wie die Demokratie. Das sieht, hört und spürt in diesen Tagen vor den Wahlen jede und jeder, der einen Spaziergang die Carl-Johan-Paradestrasse herunter einen Kilometer weit zum Parlamentsgebäude macht. Zu Dutzenden präsentieren sich die Parteien in verschiedensten Formen an Ständen und mit Auftritten der Stimmbevölkerung, und Kandidaten suchen das Gespräch mit Passanten.
Ergänzt wird das Angebot durch Baracken der Wahlbehörden und mobile Radio- und Fernsehstudios der wichtigsten Medien. Und wer auf diesem Spaziergang etwas genauer hinhört, bekommt ein Gefühl dafür, was die Norweger beschäftigt. «Alle diese Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer gerettet worden sind, müssen dorthin zurückgeschickt werden, woher sie kommen», sagt ein älterer Herr im Gespräch mit einem Kandidaten einer fremdenfeindlichen Partei, die «Demokratene» («Die Demokraten») heisst.
Der Kandidat pflichtet dem aufgebrachten Bürger mehr als bei und verteilt gleichzeitig Flugblätter mit den Worten: «Stopp våldet i Oslo» – «Beendet die Gewalt in Oslo». Während der Stand der «Demokraten» aus einer einfachen mit Schlagworten bemalten Holzkiste besteht, hat die rechtsbürgerliche Fortschrittspartei nebenan mehr Mittel in ein nobles, blaues Ausstellungsmodul mit verschiedenen Ebenen investiert.
Eines der strengsten Asylgesetze Europas
Hier erklärt ein junger Kandidat, dass seine Partei, die seit vier Jahren gemeinsam mit den Konservativen an der Macht ist, dazu beigetragen hat, dass Norwegen heute die vielleicht restriktivste Ausländerpolitik Westeuropas hat: «Wir haben die Einwanderungspolitik in den letzten vier Jahren verschärft und hatten im letzten Jahr gerade einmal 3500 Asylbewerber», sagt der junge Mann stolz.
Seiner Partei, die am rechten Rand des politischen Spektrums steht, ist es gelungen, Regierungsverantwortung zu übernehmen, ohne aber auf eine polarisierende und laute Oppositionsrhetorik zu verzichten.
Besonders gut beherrscht dies Einwanderungs- und Integrationsministerin Sylvie Listhaug. Sie hat die Grenzen des Landes für Flüchtlinge weitgehend dichtgemacht. Gleichzeitig warnt sie mit starken Worten davor, dass Norwegen schon bald von Muslimen aus aller Welt überrannt werden könnte, sollte die traditionell wählerstärkste Kraft im Land, die sozialdemokratische «Arbeiderparti», nach den Wahlen vom Montag an die Macht zurückkehren.
Hoffnung der linken Opposition schwindet
Der amtierenden Regierung der konservativen Ministerpräsidentin Erna Solberg ist das Kunststück gelungen, von der Wirtschaftslage in Norwegen abzulenken, die erstmals seit langem zu einer wachsenden Arbeitslosigkeit und einbrechenden staatlichen Einnahmen geführt hat.
Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass es aus dem lange vorausgesagten Erdrutschsieg der linken Opposition nichts werden könnte. Das frustriert die Vertreter dieser Seite, die in diesen Tagen ebenfalls auf der Carl-Johan-Strasse für sich werben: «Die Regierungsparteien haben es soweit gebracht, dass man in Norwegen zwischen einheimischen Bürgern und solchen, die aus dem Ausland zu uns gekommen sind, oder deren Eltern einst eingewandert sind, zu unterscheiden beginnt», sagt ein sozialdemokratischer Kandidat.
Tatsächlich ist vom Slogan, mit dem die Arbeiterpartei unter Oppositionschef Jonas Gahr Støre antritt, dass «alle an einem Strick ziehen sollen», vor den Wahlen wenig zu spüren. Vielmehr könnten es am Montag mehr Parteien denn je ins Parlamentsgebäude gegenüber des Osloer Schlosses schaffen. Und das ist ein Ausdruck dafür, dass sich Norwegen doch bald öffnen könnte.