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Olympische Winterspiele 2022 «Schwer zu sagen, ob ein Sportboykott Erfolg hat oder nicht»

Die USA haben für die die Olympischen Spiele in China einen diplomatischen Boykott angekündigt. Grund seien der «fortdauernde Genozid» an den Uigurinnen und Uiguren in der Region Xinjang und andere Menschenrechtsverletzungen. Welche Bedeutung solch ein Boykott hat, erklärt der Sportpolitik-Experte Jürgen Mittag.

Jürgen Mittag

Politikwissenschaftler und Historiker

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Jürgen Mittag ist Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er studierte Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft und Germanistik an den Universitäten Köln, Oxford und Bonn.

SRF News: Ist so ein Boykott mehr als ein symbolischer Akt?

Jürgen Mittag: Wir haben in der Vergangenheit immer wieder Sportboykotte erlebt mit unterschiedlichen Auswirkungen. Die grossen Sportboykotte 1980 und 1984 bei den Olympischen Spielen werden im Nachhinein sehr kritisch bewertet. Auf der anderen Seite hat es auch einen Sportboykott gegen Südafrika gegeben, der im Nachhinein eher positiv gesehen wird, weil er Auswirkungen auf das südafrikanische Apartheidsregime ausgeübt hat.

Ein Sportboykott stellt mediale Aufmerksamkeit her, legt das Licht auf Fehlentwicklungen.
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Es ist deswegen schwer, grundsätzlich zu sagen, ob ein Sportboykott Erfolg hat oder nicht. Er stellt auf jeden Fall mediale Aufmerksamkeit her, legt das Licht auf Fehlentwicklungen. Die chinesische Regierung sieht sich sicherlich desavouiert.

Die neuseeländische Mannschaft trägt eine schwarze Olympia-Flagge beim Olympia-Einmarsch.
Legende: Olympische Sommerspiele in Moskau 1980: Die Sportler haben laut Mittag gelitten, bewirkt worden sei nicht viel. Im Gegensatz zum Sportboykott gegen Südafrika. Er hat letztendlich zu einer Diskreditierung des Systems beigetragen. imago images

Macht es einen Unterschied, dass es «nur» ein diplomatischer Boykott ist, dass also die Sportlerinnen und Sportler an den Spielen teilnehmen?

Das ist eine Folge der Fehlentwicklungen der 80er- und 90er-Jahre, als Sportlerinnen- und Sportler-Boykotte nicht wirklich erfolgreich gewesen sind in der internationalen Politik. Wir erleben ein neues Instrumentarium, das es zwar schon immer gegeben hat, das aber in der gegenwärtigen Intensität bis jetzt nicht genutzt worden ist. Gerade bei einem sehr grossen und wirtschaftlich mächtigen Land wie China ist das wahrscheinlich eine der wenigen Formen, um überhaupt eine Kontrareaktion gegenüber China vornehmen zu können. 

Australien schliesst sich US-Boykott an

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Australien wird wie die USA keine diplomatischen Vertreter zu den Olympischen Winterspielen nach China schicken. Dies gab Premierminister Scott Morrison am Mittwoch in Sydney bekannt.

Die Entscheidung sei aufgrund der gescheiterten Bemühungen gefallen, die diplomatischen Kanäle mit China wieder zu öffnen, um über Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zu sprechen sowie aufgrund der Massnahmen der Regierung in Peking, die Einfuhren australischer Waren zu erschweren oder zu blockieren, sagte Morrison.

«Australische Regierungsvertreter werden daher nicht nach China zu diesen Spielen reisen. Die australischen Athleten werden es aber tun», erklärte der Premierminister.

Boykott an der Fussball-Europameisterschaft 2012

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Julia Timoschenko schaut an der Kamera vorbei.
Legende: Keystone

Ein besonders wichtiger Moment für das Boykott-Instrument war die Fussball-Europameisterschaft 2012. Die EM wurde gleichzeitig in Polen und der Ukraine ausgetragen. In der Ukraine war Julia Timoschenko verhaftet gewesen. «Viele europäische Staats- und Regierungschefs haben gesagt, dass sie zwar nach Polen, aber nicht in die Ukraine reisen werden. Sie taten dies, um das ukrainische Regime zu kritisieren und um ihnen keine Unterstützung zu geben», erläutert Mittag.

Die USA haben den Boykott angekündigt, Neuseeland schliesst sich aus anderen Gründen an. Forderungen von Menschenrechtsorganisationen auch in der Schweiz werden laut. Kann die Ankündigung der USA zu einem ersten Dominostein werden?

Es ist vielleicht der zweite Dominostein. Es hat schon im Sommer in diesem Jahr Initiativen für einen diplomatischen Boykott gegeben. Die sind allerdings nicht auf ganz so viel Resonanz gestossen. Wir werden in den kommenden Tagen eine sehr intensive Debatte darüber haben. Ich gehe davon aus, dass es zunächst Abstimmungsprozesse unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geben wird, bevor dann vielleicht ein umfassenderes Votum abgegeben wird.

Kommt es darauf an, wie breit ein Boykott abgestützt ist?

Mit Sicherheit. Man stelle sich das vor, es kommt zu einer Eröffnungsfeier, die normalerweise ein Stelldichein der politischen Prominenz dieser Welt ist. Und wenn der chinesische Staatschef Xi Jinping die Spiele eröffnet und kaum ein hochrangiger Vertreter aus den westlichen Staaten vor Ort zugegen ist, ist das sicherlich eine Desavouierung Chinas. Sie würde in der Tat eine erhebliche Beeinträchtigung der ursprünglichen Ziele der Olympischen Winterspiele darstellen.

Xi Jinping spricht in fünf Mikrofone.
Legende: «Die Desavouierung wird Xi Jinping und der Kommunistischen Partei Chinas bestimmt nicht schmecken», sagt Jürgen Mittag. Keystone

Inwiefern kann man Politik und Sport auf einer internationalen Bühne überhaupt trennen?

Sportgrossereignisse entfalten eine erhebliche Breitenwirkung und rufen ein starkes mediales Echo hervor. Sportgrossereignisse sind entsprechend per se politisch und werden von unterschiedlichsten Seiten für eigene Interessen – politisch, wirtschaftlich, sozial, kulturell – in Anspruch genommen. Deswegen wird sich auch China in diesem Fall gegen eine solche Debatte über die Olympischen Winterspiele nicht wenden können.

Sportgrossereignisse sind per se immer politisch und werden von den unterschiedlichsten Seiten für eigene Interessen in Anspruch genommen.
Autor:

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

Echo der Zeit, 07.12.2021, 18 Uhr ; 

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