«Unsere Partei ist auf breiter Front unter Druck», sagt Özgür Özel. Seit Monaten wird die CHP mit Verfahren und Prozessen eingedeckt – mehr als ein Dutzend Gemeindepräsidenten sind inhaftiert. Özel selbst kann zwar CHP-Chef bleiben – seit Freitag ist das gerichtlich anerkannt. Es war ihm vorgeworfen worden, er habe am Parteitag vor zwei Jahren Stimmen gekauft. Ein Gericht in Ankara hat die Klage als gegenstandslos abgehakt.
Diese eine Unsicherheit ist nun weg, sagt Özel. Doch noch am Freitag wurde eine weitere Klage eingereicht – «um zu verhindern, dass die Opposition durchatmet».
Die Klage ist eine weitere gegen Ekrem Imamoglu, den Stadtpräsidenten von Istanbul und eigentlichen Star der türkischen Opposition, der seit März im Gefängnis sitzt.
Erdogan beruft sich in der Konfrontation jeweils auf den Rechtsstaat. Die Verfahren gegen die CHP zeigten eben, dass die Opposition korrupt sei und unfähig, das Land zu regieren – so der Präsident.
«Erdogan hat Angst»
Özel sieht hinter der Welle von Klagen und Prozessen dagegen klar eine politische Kampagne. Hat der erfolgsverwöhnte Langzeitpräsident Angst vor der Opposition? «Ohne Zweifel», sagt Özel. Erdogan habe sich stets als der ewige Sieger präsentiert, doch bei den Gemeindewahlen letztes Jahr kam das böse Erwachen. Die Opposition gewann. «Das kann der Staatspräsident nicht ertragen.» Özel unterlegt es mit aktuellen Umfragezahlen: Danach würde die CHP Erdogans Partei auch heute klar schlagen.
Spätestens seit dem Erfolg bei den Gemeindewahlen gilt Imamoglu als der grosse Gegenspieler von Erdogan. Der Stadtpräsident von Istanbul schaffte es, die erstarrte und elitäre CHP zur Mitte hin zu öffnen, Özel war der Technokrat an Imamoglus Seite. Nun sitzt Imamoglu im Gefängnis. Özel als Parteichef übernimmt die Hauptrolle. Unermüdlich reist er durchs Land, versucht die Flamme des Protests nicht ausgehen zu lassen. Es scheint ihn zu beflügeln.
Würde Özel auch die Präsidentschaftskandidatur von Imamoglu übernehmen, wenn dieser seine Prozesse verlieren und nicht zur Wahl antreten könnte?
Özel weicht aus. Der beste Kandidat müsse sich bewerben. Er nutzt die Frage zugleich für eine Breitseite gegen seinen Vorgänger im Amt. Die CHP habe schlechte Erfahrungen damit gemacht, wenn der Parteichef Kandidat werde.
«Fehler nicht wiederholen»
Tatsächlich: Zur letzten Präsidentschaftswahl gegen Erdogan war die CHP mit dem damaligen langjährigen Parteichef Kemal Kilicardoglu angetreten. Dieser hatte sich selbst in Position gebracht, gestützt auf eine bunte Koalition von Oppositionsparteien ohne gemeinsame Linie. Diese Fehler wolle die CHP nicht wieder machen. Die CHP sei alleine stark genug, um die Konfrontation zu gewinnen – so stark wie «seit 47 Jahren» nicht mehr.
Wir haben dafür zwei Millionen Mitglieder und jeden Tag werden es mehr.
Doch wird die Opposition sich an der Urne tatsächlich noch beweisen können? Die nächsten ordentlichen Präsidentschaftswahlen in der Türkei sind in gut zwei Jahren. Werden diese einigermassen frei sein?
Özel will alles dafür tun. «Wir haben dafür zwei Millionen Mitglieder und jeden Tag werden es mehr», sagt er. Man vertraue darauf, so ausreichend Kräfte zu haben, um im ganzen Land den rechtmässigen Verlauf von Wahlen kontrollieren zu können. Der CHP-Chef sagt es mit der Zuversicht, die von ihm gefordert ist, um die Mobilisierung seines Lagers aufrecht zu erhalten – inmitten der Angriffe.