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Ostkongo Nach Idengos Tod kam das Schweigen

Seit die Rebellengruppe M23 im Ostkongo weite Gebiete kontrolliert, hat sich für die Menschen dort vieles verändert, vor allem für junge Männer. Wer sich exponiert, gilt schnell als verdächtig. Seit dem Mord an einem jungen Musiker mit politischen Texten ist die Angst vor Repression gross.

Es war ein Lied wie ein Aufschrei. Mitte Februar veröffentlichte der junge Künstler Delcat Idengo sein Stück «Bunduki za Kwetu» – «Unsere Gewehre». Darin griff er frontal die Rebellenbewegung M23 an, die seit Anfang Jahr die Provinzhauptstadt Goma – und damit einen grossen, zusammenhängenden Teil des Ostkongos kontrolliert. Er nannte sie Besatzer, die die Bevölkerung im eigenen Land zu Fremden gemacht hätten, und er warnte: Ihre Zeit sei abgelaufen.

Doch wenige Stunden später liegt Idengo tot vor seinem Haus in Goma. Erschossen, mit einem gezielten Kopfschuss. Seine Mutter erinnert sich: Am Morgen sei er fröhlich losgegangen, um das Musikvideo zu drehen. Doch er sei nie zurückgekehrt.

Motorrad-Taxi mit vielen Trauernden. Vorne ein Bild von Delcat Idengo angemacht.
Legende: Trauernde begleiten den Sarg von Delcat Idengo, in der Stadt Beni. Reuters/Gradel Muyisa Mumbere

Ein aktueller UNO-Bericht bestätigt: Kämpfer der M23 haben Idengo exekutiert. Die Rebellen bestreiten jede Verantwortung, doch Zeugenaussagen, Videos und Ortsanalysen lassen kaum Zweifel. Und Idengo ist kein Einzelfall. Laut der UNO verschleppt die M23 regelmässig Männer bei nächtlichen Razzien. Viele werden hingerichtet, ihre Leichen in feindliche Militäruniformen gesteckt – damit es so aussieht, als seien sie im Kampf gefallen. Auch bei Idengo war es so.

Die Dimension der Gewalt ist enorm: Allein im Juli wurden mindestens 319 Zivilisten getötet, mehrheitlich Männer. Weiter dokumentiert der Bericht die Zwangsrekrutierung von mindestens 146 jungen Männern und Jungen, teils ab 15 Jahren. Wer sich weigerte, wurde misshandelt oder verschleppt. Viele landeten nach kurzer Ausbildung direkt an der Front.

Wir werden sterben, aber wir müssen Geschichte schreiben – indem wir laut aussprechen, was das einfache Volk nicht sagen darf.
Autor: Riki Paluka über Idegngo Idegngos Freund und Aktivist

Für Idengos Mitstreiter Riki Palukua hat der Mord ein Klima der Angst hinterlassen. «In Goma dürfen wir uns nicht einmal mehr zu dritt oder zu viert treffen, um über die Situation zu sprechen», sagt er. Idengo sei für ihn «die Stimme der Stimmlosen» gewesen. Einer, der sagte: Wir werden sterben, aber wir müssen Geschichte schreiben – indem wir laut aussprechen, was das einfache Volk nicht sagen darf. Viele junge Künstler sind seither geflohen.

Steven Muhindo auf zerschlagenen Steinen vor seinem Haus.
Legende: Der Slam-Poet Steven Muhindo in Goma: «Ich habe Angst, weil ich jung bin, weil ich ein Mann bin – und weil ich ein Künstler bin.» SRF/Sarah Fluck

Der 25-jährige Steven Muhindo ist einer der wenigen, die geblieben sind. Er wohnt wieder bei seinen Eltern in Goma, weil es zu gefährlich wäre, allein in seinem Haus am Stadtrand zu leben. Muhindo ist Slam-Poet. Doch inzwischen überlegt er bei jedem Satz, ob er schon zu viel gesagt hat. «Ich habe Angst, weil ich jung bin, weil ich ein Mann bin – und weil ich ein Künstler bin», sagt er. Sein neues Gedicht trägt den Titel «Silence» – «Schweigen». Darin fragt er: «Was bleibt vom Slamer, wenn er nichts mehr sagen darf? Und wenn ich doch was sage – häng ich dann am Strick?»

Deutsche Übersetzung des Gedichts «Schweigen»

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Wie lange noch, Schweigen, wirst du meiner Angst gehorchen?
Wie lange sollst du meine Wunden nähren?
Ich trete auf mit dem Strick des Schweigens um den Hals.
Wenn nur der Stärkste spricht, dann schweigen die Diener,
sehen, hören – und ertragen.

Schweigen! Wen soll ich verfluchen?
Soll ich fliehen oder bleiben?
Alles geben – oder alles fallenlassen?
Soll ich ein sicheres Ufer suchen,
fliehen, um endlich zu reden?
Mich rühmen oder mich erklären?
Kämpfen – oder mich erschlagen lassen?

Schweigen, sag mir, was ich tun soll.
Alle verstummen, als wären sie krank.
Alle schliessen die Augen, doch sie sehen sehr genau.

Wie lange noch gehorche ich dir, Schweigen?
Wie lange noch ertrage ich Bitterkeit?
Wie oft noch schreibe ich in meinem Käfig,
statt zu sprechen – ich, der Poete,
die Stimme der Nation,
der die heimlichen Murmeln der Menschen trug.

Schweigen, soll ich auch meine Worte verstecken
oder soll ich von dir reden, von ihm, von uns?
Ich rufe, ich schreie – doch niemand hört meine Worte.

Schweigen, was bleibt vom Slammer,
wenn er keine Stimme mehr hat?
Was vom Poeten, wenn er nur in Gleichnissen spricht?
Und wenn ich doch spreche – hängt mich dann der Strick?

Darum schwieg ich.
Denn wenn Waffen sprechen und der Tod regiert,
bewahre ich dich, Schweigen, in mir.
Doch wie lange noch?

Ich bin nur ein Schwätzer, ein Griot.
Und wenn selbst der König mich nicht hört –
soll ich schreien oder meine Stimme vererben?
Soll ich mir den Mund zubinden,
deinen Befehlen folgen, dich in meinem Hals tragen?

Schweigen, muss ich immer die Toten sehen,
Leichen ohne Grab,
wachsende Straflosigkeit,
wuchernde Barbarei?

Soll ich erlöschen angesichts all dessen –
oder doch ein Wort wagen?
Auch wenn es heisst: begraben,
gefangen, erhängt zu werden.

So bleibt nur das Schweigen.

Verhandlungen gescheitert

Die internationale Diplomatie steckt fest. Ende Juni ein Abkommen in Washington ohne M23, im Juli eine Erklärung in Doha mit den Rebellen: Waffenruhe, Gefangenenaustausch, Rückzug bis Mitte August. Doch dazu kam es nie. Stattdessen brachen die Rebellen die Gespräche ab – alle Seiten kämpfen weiter, vor Ort bleibt alles beim Alten.

Verbrannter Truck des kongolesischen Militärs.
Legende: Kurz vor Goma: Ein ausgebrannter Truck des kongolesischen Militärs – Spuren der Kämpfe vom Jahresanfang. SRF/Sarah Fluck

Idengos Tod hat diese Generation geprägt: Er steht für den Preis des Widerstands. Für viele junge Männer bleibt nur die Flucht – in die Nachbarländer Burundi, Uganda, nach Ruanda, irgendwohin in Sicherheit. Zurückbleiben tun nur wenige wie Muhindo – Künstler, die trotz allem ausharren. Für sie bleibt am Ende nur die Frage: Sich wehren – oder schweigen, um zu überleben?

Blockierte Friedensprozesse

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Donald Trump sitzt im Oval Office hinter dem Schreibtisch, flankiert von Aussenminister Marco Rubio und Vizepräsident JD Vance. Ihnen gegenüber stehen die Aussenministerin von Kongo-Kinshasa, Thérèse Kayikwamba Wagner, und der Aussenminister Ruandas, Olivier Nduhungire.he.
Legende: Im Weissen Haus unterzeichneten Kongo-Kinshasa und Ruanda im Juni 2025 ein Friedensabkommen – doch die Umsetzung stockt. Reuters/Ken Cedeno

Im Ostkongo laufen zwei Friedensprozesse – und beide stecken fest:

Erstens zwischen Kongo-Kinshasa und Ruanda: Ruanda ist Nachbarland und wird unter anderem von UNO-Experten beschuldigt, die Rebellenbewegung M23 zu unterstützen. Auf US-Anstoss haben beide Länder im Juli ein Abkommen unterschrieben, das Ruhe und weniger Einmischung bringen sollte. Doch umgesetzt wurde es bisher kaum.

Zweitens zwischen Kongo-Kinshasa und den M23-Rebellen selbst: In Doha verhandeln beide Seiten seit Juli, vermittelt von Katar und den USA. Eigentlich hätte bis Mitte August ein Friedensvertrag stehen sollen. Doch die M23 fordert zuerst Gefangene freizulassen, die Regierung will das nur im Rahmen eines Abkommens. Währenddessen halten die Kämpfe zwischen Armee und Rebellen an.

Zwischenzeitlich geht die Gewalt weiter: Die kongolesische Armee und die M23 liefern sich heftige Kämpfe, die Rebellen rücken nicht ab. Von Frieden ist die Region weit entfernt – und das fast 30-jährige Leid der Bevölkerung dauert an.

Echo der Zeit, 14.8.25, 18 Uhr; srf/flus;liea

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