Papst Benedikt XVI. ist nun Teil der Geschichte. Auch sein Rücktritt schreibt Geschichte. Der erste freiwillige Abgang eines Papstes seit über 700 Jahren könnte die Wahrnehmung des Amtes von Jesu Stellvertreter auf Erden grundlegend ändern.
Judith Hardegger, Theologin und Redaktorin bei SRF Sternstunden, bewertet die Entscheidung Benedikts als «grossartigen Präzedenzfall». «Es macht das Amt menschlicher und weltlicher», sagt sie.
Was aber, wenn in Zukunft Rücktrittsforderungen an den Papst zur Tagesordnung werden? Wenn der Stuhl Petri genauso wackelt wie ein Regierungssitz?
Die Theologin Eva-Maria Faber von der Theologischen Hochschule Chur sagt zu «SRF News Online»: «Bereits während des Pontifikates von Papst Johannes Paul II. hat es Rücktrittsforderungen mit Hinweis auf Alter und Krankheit des Papstes gegeben. Und im Kontext der Missbrauchsskandale wurden Forderungen laut, Papst Benedikt XVI. solle zurücktreten.» Das Phänomen sei insofern nicht neu.
Multitalent gesucht
Rücktrittsforderungen, Vatileaks, Missbrauchsskandale, Modernisierungsdruck – der nächste Papst steht schwierigen Aufgaben gegenüber. Der Ruf nach einem führungsstarken Papst wird lauter. Gesucht: der Anti-Benedikt.
Ein deutscher Kardinal drückt es im Magazin «Spiegel» so aus: «Ein Papst kann Theologe sein oder Seelsorger oder Feldherr. Um die Weltkirche zu leiten, bedarf es eines Feldherrn.»
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Bild 1 von 7. Angelo Scola, Erzbischof von Mailand: Der Purpurträger ist der Topfavorit der Italiener. Der 71jährige ist zwar konservativ, hat aber eine soziale Ader. Zudem gilt er als jovial und umgänglich. Scola wurde bereits 2005 als «papabile» gehandelt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 7. Odilo Pedro Scherer: Der 63jährige Erzbischof von São Paulo (Brasilien) gilt als stärkster Kandidat aus Lateinamerika. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 7. Marc Ouellet (links): Der 68jährige Kanadier ist als Leiter der Bischofskongregation so etwas wie der Personalchef im Vatikan. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 7. Dem New Yorker Erzbischof Timothy Dolan werden durchaus Aussenseiterchancen zugerechnet. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 7. Gianfranco Ravasi: Der 70jährige Italiener ist Kulturminister im Vatikan und vertritt die Kirche in der Welt der Wissenschaft. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 7. Als möglicher erster dunkelhäutiger Papst gilt: Kurienkardinal Peter Turkson. Der 64jährige stammt aus Ghana und spricht sechs Sprachen fliessend. Im Vatikan dient er als Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 7. Luis Antonio Tagle gilt als asiatischer Favorit. Der 55jährige ist Erzbischof von Manila. Bildquelle: Keystone.
Judith Hardegger mag es weniger martialisch. «Theologe muss er auf jeden Fall sein, Seelsorger unbedingt, Feldherr nicht unbedingt, aber Politiker – eine Quadratur des Kreises.» Auch Eva-Maria Faber hofft auf einen Papst mit pragmatischen Talenten. Er soll einen Sinn für die strukturellen Aufgaben und die politische Dimension des eigenen Amtes haben.
Spaltung der Kirche droht
Das Ergebnis der Papstwahl wird wohl auch über die Existenz der Katholischen Kirche in ihrer jetzigen Form entscheiden. Der Mitgliederschwund in Europa ist dramatisch. Liberale Gläubige stellen in Basisbewegungen die Sexualmoral des Vatikans in Frage. Und immer nachdrücklicher erklingt die Forderung, Frauen den Zugang zu katholischen Kirchenämtern zu ermöglichen.
Die Mitglieder dieser Basisbewegungen «gehen nicht mehr zurück in den Schoss der Kirche», glaubt Hardegger. Sie ergänzt: «Ich würde nicht ausschliessen, dass diese Entwicklung am Ende zur Spaltung führt.» Sie spricht vom Schisma, der Spaltung innerhalb einer Glaubensgemeinschaft.
Weltweit steigt die Zahl der Katholiken
In Europa geht die Zahl der Kirchenmitglieder zwar zurück. Aber weltweit wächst sie. Knapp zwei Milliarden Katholiken gibt es laut dem Jahrbuch des Vatikans von 2010 – ein Zuwachs von zwanzig Prozent innert zehn Jahren. In Afrika hat die Zahl der katholischen Kirchenmitglieder in diesem Zeitraum gar um 33 Prozent zugenommen.
Nicht nur bei den Mitgliederzahlen, auch in anderer Hinsicht geht der Trend auseinander. Aus Afrika kommen eher konservative Kräfte, die Europäer geben sich liberaler.
Würde ein afrikanischer Papst dennoch für Modernisierung und Öffnung der Katholischen Kirche stehen? Judith Hardegger zweifelt daran. «Auf den ersten Blick sähe ein schwarzer Papst nach Öffnung aus. Bezüglich gesellschaftlicher Fragen würde ich eher einen Rückschritt befürchten.»
Wer auch immer der nächste Papst sein wird, er wird sich im wahrsten Sinne als Pontifex, also Brückenbauer, zwischen den theologischen Lagern beweisen müssen.
Die Last des Amtes
Benedikts Pontifikat hat eines gezeigt: Es ist nicht leicht, Papst zu sein. Die Erwartungen an das Amt scheinen übermenschlich. Eva-Maria Faber sieht es deshalb als wichtige Aufgabe, «den Petrusdienst vor Überforderung zu bewahren». Sollte dies nicht geschehen, werden bis zum nächsten Rücktritt eines Papstes wohl keine 700 Jahre vergehen. Benedikt sei Dank.