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Party-Gate in Grossbritannien Boris Johnson im «Sorry»-Modus

Erst Mitte Woche musste sich Premier Boris Johnson vor dem Parlament für eine Lockdown-Gartenparty vom Mai 2020 entschuldigen. Nun zwingt ihn eine weitere Party vom 16. April 2021 zu einer Entschuldigung bei der Queen. Fragen an NZZ-London-Korrespondent Niklaus Nuspliger zur Wut der Briten über Party-Gate und den generellen Unmut über den Regierungskurs.

Niklaus Nuspliger

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Der Journalist und Autor Niklaus Nuspliger berichtet für die Neue Zürcher Zeitung NZZ aus London. Zuvor arbeitete er mehrere Jahre als politischer Korrespondent für die NZZ in Brüssel.

SRF News: Wie muss man sich die Party an der Downing Street vom April 2021 vorstellen, am Vorabend der Beerdigung von Prinz Philipp?

Niklaus Nuspliger: Es waren zwei Abschiedspartys, einerseits von Johnsons Kommunikationschef, anderseits von einem Fotografen. Offenbar floss sehr viel Alkohol, und man musste noch Nachschub holen. Im Keller betätigte sich dann angeblich ein Mitarbeiter von Johnson als DJ, und die Anwesenden tanzten bis in den Morgen. Es entsteht ein grosser Kontrast zu den Bildern der schwarz gekleideten Königin, die am Tag danach allein in der Kapelle von Schloss Windsor Abschied vom verstorbenen Ehemann Prinz Philip nahm.

Nahm Premier Johnson an den Partys teil?

Nein. Johnson war zu dieser Zeit auf dem Landsitz Chequers. Allerdings wurde in der gleichen Woche bekannt, dass Johnson im Mai 2020 an einer Gartenparty mitten im Lockdown teilgenommen hatte. Sein Privatsekretär lud damals 100 Mitarbeitende von Downing Street ein. Sie sollten vom schönen Frühlingswetter profitieren und den eigenen Alkohol mitbringen, so die Einladungsmail. Johnson blieb dort nach eigenen Angaben nur 25 Minuten. Dafür musste er sich diese Woche im Parlament entschuldigen.

Umfragen: Labour-Vorsprung wächst

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Die Skandale des britischen Premierministers Boris Johnson haben laut Umfragen negative Auswirkungen auf dessen regierende Konservative Partei. Einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Savanta ComRes zufolge wuchs der Vorsprung der oppositionellen Labour Partei vor Johnsons Tories auf zehn Prozentpunkte.

In der Umfrage kam Labour auf 42 Prozent (plus 5 Prozentpunkte), die Konservativen auf 32 Prozent (minus eins). 70 Prozent der Befragten sprachen sich für Johnsons Rücktritt aus. Die nächste Parlamentswahl findet regulär 2024 statt.

Die Corona-Regeln erlaubten damals nur den Kontakt mit einer einzigen Person ausserhalb des eigenen Haushalts. Und zwar nur draussen mit zwei Metern Abstand. Diese Doppelmoral stösst vielen Britinnen und Briten sauer auf: strenge Corona-Regeln erlassen und sich selbst nicht daran halten.

 Es ist die Doppelmoral, die vielen Britinnen und Briten so sauer aufstösst: Strenge Regeln erlassen und sich selbst nicht daran halten.
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Warum gibt es mitten im Lockdown so viele Partys an der Downing Street?

Da fragt man sich tatsächlich, ob die Leute nichts anderes zu tun haben. Es hängt wohl auch mit der Trink- und Pubkultur zusammen. Aber auch mit der Downing Street 10, wo der Premier mit Familie wohnt. Sie ist auch Arbeitsort für bisweilen 100 Leute. Sie gingen offenbar davon aus, dass nach dem gemeinsamen Tag im Büro auch noch eine abendliche Party erlaubt sei.

Die Party-Vorwürfe untersucht nun die Beamtin Sue Gray. Wird noch mehr auskommen?

Das kann nicht ausgeschlossen werden, da momentan täglich neue Enthüllungen durch die Presse geistern. Sue Gray will ihren Bericht bereits bis Ende nächster Woche liefern. Sie wird sich wahrscheinlich streng an die Fakten halten und davor hüten, den Premier oder andere Mitglieder von Downing Street zum Rücktritt aufzufordern.   

Die jüngsten Enthüllungen machte die konservative Zeitung «Daily Telegraph», die Johnson immer wohlgesinnt war. Sind jetzt alle gegen den Premier?

Johnson hat durchaus noch Unterstützer. Das Kabinett steht nach wie vor hinter ihm.  Aber es ist auch für Johnsons Freunde schwierig geworden, ihn zu verteidigen. Man hat den Eindruck, dass die Regierung ein wenig die Kontrolle über die Geschehnisse verloren hat.

Man hat den Eindruck, dass die Regierung ein wenig die Kontrolle über die Geschehnisse verloren hat.
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In den klassisch-konservativen Kreisen besteht auch ein gewisser Unmut über Johnsons Regierungskurs. Man weiss nicht mehr genau, wofür er eigentlich steht, ist unzufrieden mit den Steuererhöhungen, dem angekündigten Ausbau des Sozialstaats und den hohen Schulden. Auch viele Brexiteers sind unzufrieden, erhofften sie sich doch einen Tiefsteuerstaat mit wenig Regulierung.

Das Gespräch führte Roger Brändlin.

Echo der Zeit, 14.01.2022, 18:00 Uhr ; 

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