- Die pro-EU-gesinnte Innenministerin Amber Rudd tritt nach Enthüllungen zurück.
- Ihre Behauptungen vor dem Parlament über das Vorgehen gegen illegale Einwanderer erwiesen sich zumindest als fragwürdig.
- Nun rückt Premierministerin Theresa May als Amtsvorgängerin von Rudd direkt ins Visier der Opposition.
Wegen ihres Verhaltens im Skandal um Einwanderer aus der Karibik ist die britische Innenministerin Amber Rudd zurückgetreten. Premierministerin Theresa May habe das Angebot der 54-Jährigen in einem Telefonat angenommen, teilte ein Regierungssprecher am Sonntagabend in London mit.
«Hartnäckige Abfolge von Enthüllungen»
Nach Einschätzung von SRF-Korrespondent Martin Alioth hat «eine hartnäckige Abfolge von Enthüllungen» der linksliberalen britischen Tageszeitung «The Guardian» zum Rücktritt der liberalen, pro-europäischen Innenministerin geführt. «Stein des Anstosses waren die Theorie und Praxis der britischen Einwanderungspolitik – ein heikles Thema, das seit dem Brexit-Referendum besonders brisant geworden ist.»
Rudd war für ihre Aussagen zur sogenannten Windrush-Generation scharf kritisiert worden. So werden karibische Einwanderer bezeichnet, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf Einladung der Regierung in London nach Grossbritannien kamen. Sie wurden als Arbeitskräfte gebraucht.
Die Immigranten und ihre Nachfahren hatten teilweise Probleme, ihr Aufenthaltsrecht nachzuweisen, weil sie nie entsprechende Dokumente erhalten haben. Vielen wurde mit Abschiebung gedroht, Sozialleistungen und medizinische Behandlungen wurden verweigert. May hatte sich hierauf entschuldigte, und Rudd hatte britische Pässe und Entschädigungen in Aussicht gestellt.
In den vergangenen Tagen war Rudd mit widersprüchlichen Aussagen zum Immigranten-Skandal aufgefallen. SRF-Korrespondent Alioth erläutert: «Rudd hatte am letzten Mittwoch vor dem Innenausschuss des Parlaments behauptet, es gebe keine jährlichen Planziele für die Ausschaffung illegaler Einwanderer. Das musste sie seither relativieren.»
Weil sie also zunächst abgestritten hatte, von Abschiebequoten gewusst zu haben, warfen ihr Kritiker Ahnungslosigkeit vor. Die Opposition hatte ihren Rücktritt bereits gefordert.
Fürsprecherin eines Brexit, der wenig verändert
Die immer neuen Enthüllungen liessen gemäss Alioth «keinen Raum für Zweifel: Das Innenministerium operierte unter Rudds Führung mit jährlichen Quoten, exakten numerischen Zahlen, für Ausschaffungen».
In Rudd verliert May nun eine weitere Vertraute in der Regierung. Es ist der fünfte Rücktritt seit der von ihr angeschobenen Neuwahl im vergangenen Juni, bei der May eine Wahlschlappe erlitten hatte. Seitdem regiert sie nur noch mit hauchdünner Mehrheit.
Dazu Alioth: «Der Abgang Rudds ändert – zumindest zeitweilig – das prekäre Gleichgewicht zwischen pro- und anti-EU-Kräften im Kabinett. Sie war die eloquenteste Sprecherin für einen Brexit, der möglichst wenig verändert.»
Bauernopfer Rudd?
Der Sturz der Innenministerin entblösst nach Einschätzung des SRF-Korrespondenten zudem deren Vorgängerin im Amt – Theresa May. Die oppositionelle Labour-Partei hält ihr vor, sie habe in ihrer Zeit als Innenministerin eine «feindliche Umgebung» für illegale Immigranten geschaffen und damit den Boden für den Windrush-Skandal bereitet. Die seit 2016 amtierende Innenministerin Rudd sei nur ein Bauernopfer.