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Personalmangel in Süditalien Kubaner ersetzen in Kalabrien die fehlenden Ärzte

In Kalabrien sind etwa 270 kubanische Ärztinnen und Ärzte im Einsatz. Kuba schickt seit Jahrzehnten medizinisches Personal ins Ausland, nun aber erstmals in grossem Stil in ein europäisches Land. Wie gut das funktioniert, zeigt eine Reportage aus Gioia Tauro.

Das Spital von Gioia Tauro ist klein. Am Eingang der Notfallstation steht Dairobis Monier Fernández. «Ich komme aus Pinar del Río, das ist ganz im Westen der karibischen Insel», sagt Monier.

Er hat in der Hauptstadt Havanna Medizin studiert und später auf diversen kubanischen Notfallstationen Leben gerettet. Seit gut einem Jahr arbeitet Monier nun in Gioia Tauro. Er ist nicht der einzige Kubaner hier.

Der Arzt trägt einen Kittel und schaut in die Kamera.
Legende: Der aus Kuba stammende Arzt Dairobis Monier Fernández in der Notaufnahme des Spitals in Gioia Tauro. SRF/ Franco Battel

In Gioia Tauro und in anderen Städten Kalabriens sind insgesamt 270 Ärztinnen und Ärzte aus der Karibik im Einsatz. So etwas hat es in Italien noch nie gegeben. Der Regionalpräsident Kalabriens, Roberto Occhiuto, hat sie aufgrund des Personalmangels gerufen. Er politisiert für die von Silvio Berlusconi gegründete Forza Italia. Ausgerechnet jene Partei, die sich strikt antikommunistisch gibt, setzt auf Personal aus dem kommunistischen Kuba.

Etwa 3000 Euro netto erhalten die kubanischen Ärzte pro Monat. Einen Teil davon überweisen sie an die kubanische Staatskasse. Freiwillig, wie die Kubanerinnen und Kubaner beteuern. Andere sagen, das geschehe unter Zwang.

Die Jungen verlassen den Süden

In Gioia Tauro und Umgebung leben etwa 40'000 Menschen. Trotz des grossen, internationalen Hafens ist die Stadt arm. Die kalabrische Mafia, die ’Ndrangheta, hat sich eingenistet. Die Strassen haben Löcher und es liegt viel Abfall herum. Abends, wenn es dämmert und kühl wird, riecht es scharf nach Rauch. Denn viele heizen mitten in der Stadt mit Holz.

Kalabrien ist in fast allen italienischen Statistiken Schlusslicht. Auch bei der Gesundheitsversorgung. Mimmo Caglioti ist kein Kubaner. Er ist Kalabrier durch und durch und leitet das Spital in Gioia Tauro. Beim Empfang erklärt er, warum Kalabrien kubanisches Personal anheuern muss: «Die Jugend verlässt Kalabrien, um zu studieren, viele in Richtung Norditalien.» Wer den Süden erst einmal verlassen habe, kehre in der Regel nie mehr zurück.

Auch wegen Geldmangels schloss das Spital von Gioia Tauro über die Jahre Abteilung um Abteilung. Heute fehlen die Gynäkologie, die Orthopädie und in der Chirurgie behandelt man nur noch Hautkrankheiten. Einen Blinddarm oder einen Leistenbruch kann man hier nicht mehr operieren. Ganz zu schweigen von wirklich grossen Eingriffen. Trotzdem gibt sich Caglioti zuversichtlich. «Bis in zwei Jahren sollen die Chirurgie und die Orthopädie wieder öffnen.» Die Region Kalabrien habe ihm das so versprochen.

Der Fussnagel am kleinen Zeh

Auf dem Parkplatz vor der Klinik sind Patientinnen und Passanten deutlich weniger zuversichtlich. Eine Passantin beschreibt ihre Lage mit diesem drastischen Bild: «Wir fühlen uns wie der Fussnagel am kleinen Zeh.» Was bedeutet: «Wir sind ganz unten, keiner schert sich um uns.»

Wer es sich irgendwie leisten kann, lässt sich oder seine Angehörigen in Rom oder Mailand behandeln. Nicht nur viele Jungen verlassen Kalabrien, sondern auch Patienten kehren ihrer Region den Rücken.

Das Gebäude der Notfallstation.
Legende: Die Notfallstation des Spitals in Gioia Tauro in Kalabrien. SRF/ Franco Battel

Klinikleiter Caglioti bilanziert: «Die Kubaner sind eine sehr erfreuliche Überraschung.» Über die «doctores» höre man nur Gutes. «Sie führen dieser Region den dringend benötigten Sauerstoff zu», so Caglioti.

Aus der Botschaft Kubas in Rom heisst es: Auch andere Regionen Italiens würden sich für kubanisches Personal interessieren. Kuba sei auf jeden Fall bereit.

Echo der Zeit, 08.02.2024, 18 Uhr;kesmu

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