Für die osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten soll sich nach dem Willen der EU-Kommission finanziell einiges ändern. Sie sollen zwar mehr Geld für Flüchtlinge, Grenzschutz und Sicherheit erhalten, aber weniger für die Landwirtschaft und die sogenannte Kohäsionspolitik. Diese bewirkt den Ausgleich wirtschaftlicher Ungleichheiten zwischen ärmeren und reicheren Staaten. Die Reaktionen darauf fallen insbesondere in Polen und Ungarn heftig aus, wie Journalist Bernhard Odehnal sagt.
SRF News: Wie reagieren Polen und Ungarn auf die Budgetvorschläge der EU-Kommission?
Bernhard Odehnal: Die Regierungen in Polen und Ungarn schäumen vor Wut. Sie sehen diesen Budgetentwurf der Kommission als ein Druckmittel gegen sie, als eine Bestrafung und als einen Angriff auf ihre Souveränität. Sie fühlen sich von Brüssel bevormundet.
Zielen diese Budgetpläne tatsächlich gegen Ungarn und Polen?
Die EU-Kommission nennt in diesem Entwurf keine Länder beim Namen. Aber es ist klar: Polen ist heute der grösste Empfänger von Fördermitteln. Wir sprechen von 77 Milliarden Euro in den nächsten Jahren. Ungarn gehört ebenfalls zu den grössten Empfängern mit 22 Milliarden bis 2021. Und es ist kein Geheimnis, dass die EU-Kommission mit den totalitären Tendenzen in diesen Ländern alles andere als glücklich ist.
Haben Polen und Ungarn Angst, Subventionen zu verlieren?
Auf alle Fälle. Dieses neue Budget wird die Länder hart treffen. In beiden Staaten ist die Wirtschaftslage zwar gut, und die Arbeitslosenrate sinkt deutlich. Dennoch sind sowohl Polen als auch Ungarn noch extrem abhängig besonders von Agrarförderungen und auch von Zuschüssen für ihre strukturschwachen Regionen, eben durch diese Kohäsionsfonds.
Fördergelder der EU sollen künftig an die Rechtsstaatlichkeit in Empfängerländern gebunden sein. Ist das ein Druckmittel gegen Staaten wie Ungarn oder Polen?
Die EU kann nicht in die nationale Gesetzgebung eingreifen, aber sie kann über das Budget deutliche Warnungen signalisieren. Die Kommission kann diesen Ländern sagen, sie könnten nicht ihre Werte mit Füssen treten und gleichzeitig ihr Geld nehmen.
In Ungarn gibt es den Vorwurf, Ministerpräsident Viktor Orban habe seinem Schwiegersohn zahlreiche Aufträge zugespielt, die mit Fördergeldern der EU bezahlt worden seien. Wird dem nachgegangen?
Ja. Die EU-Antikorruptionsbehörde Olaf ermittelt bereits. Man ist nicht mehr gewillt, das Geld mit der Giesskanne auszuschütten, ohne zu sehen, was damit passiert. Neben den Vorwürfen in Ungarn gegen die Regierung Orban gibt es auch Anschuldigungen gegen den tschechischen Ministerpräsidenten, der sich selbst bei den Fördergeldern bedient haben soll.
Jeder ist daran interessiert, für sich selbst das Beste herauszuholen.
Allerdings ist das Problem, dass letztlich nationale Gerichte Verfahren eröffnen müssten. Und die tun es nicht, weil sie nicht mehr unabhängig sind.
Werden die Budgetpläne das Verhältnis zwischen der EU einerseits und Ungarn und Polen andererseits zusätzlich belasten?
Ja. Diese beiden Länder fühlen sich bestraft, vor allem für ihre Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen. Aber wenn sie nun gemeinsame Entscheidungen in der EU mit ihrem Veto blockieren, stellen sie sich noch mehr ins Abseits. Die Kommission plant deshalb auch, vom Prinzip der Einstimmigkeit zum Prinzip der qualifizierten Mehrheit überzugehen. Diese Länder könnten dann überstimmt werden.
Bilden Ungarn und Polen zusammen mit den anderen osteuropäischen Ländern eine gemeinsame Front gegen die Vorschläge der EU-Kommission?
Eine Front ist im Moment nicht auszumachen. Es gibt zwar die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien. Aber selbst da gibt es keine einheitliche Meinung. In Tschechien und der Slowakei sind die Regierungen nicht stabil, und auch in den anderen Ländern sieht man wenige Anzeichen von Solidarität. Jeder ist daran interessiert, für sich selbst das Beste herauszuholen.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.