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Politischer Rückschlag Milei verliert mehr als eine Wahl

Seit Tagen geht in Argentinien eine Melodie um: die des Liedes Guantanamera – umgedichtet so, dass sie die mutmassliche Korruption von Javier Mileis Schwester Karina Milei besingt. In TikTok-Posts, auf Fussballtribünen, auf der Strasse und sogar im Senat, wo eine Senatorin die Zeile zitierte – überall ist die Melodie präsent. Sie ist Ausdruck des Zorns über eine Regierung, die im Wahlkampf die Korruptionsbekämpfung versprach und nun selbst im Verdacht steht, jeden Monat Hunderttausende Dollar abzuzweigen.

Bei den gestrigen Wahlen liegt Mileis Partei La Libertad Avanza dreizehn Prozentpunkte hinter dem peronistischen Gouverneur Axel Kicillof zurück, der mehr als 47 Prozent der Stimmen erreichte. Zwar waren es nur Regionalwahlen, doch die Provinz Buenos Aires ist in etwa so gross wie Polen und stellt fast ein Drittel der argentinischen Wählerschaft. Wer hier verliert, hat es national schwer. Milei hatte sich im Wahlkampf als Wirtschaftsexperte, Anti-Politiker und Korruptionsjäger inszeniert. Nach fast zwei Jahren nehmen ihm das immer weniger Argentinier ab.

Durchmischte wirtschaftliche Bilanz

Zwar wirken die makroökonomischen Zahlen auf den ersten Blick vielversprechend: Die Inflation soll in diesem Jahr von über 200 Prozent auf rund 36 Prozent sinken. Doch Investitionen bleiben aus und die Handelsbilanz ist negativ, das schwächt die Devisenreserven und erhöht die Abhängigkeit von Auslandskrediten.

Im Alltag gleicht die Wirtschaft einer Achterbahnfahrt, die nicht enden will: Rezession, Konsumflaute, eine Währungspolitik, die inländische Produktion verteuert und billige Importe begünstigt. Der Verband der KMU spricht von einem «historischen Firmensterben» und von 12'000 Betrieben, die seit Mileis Amtsantritt im Dezember 2023 Konkurs angemeldet haben. Und wer noch Arbeit hat, dem reicht das Gehalt oft kaum bis Monatsende.

«Wirtschaftsmodell auf Sand gebaut»

Besonders die Währungspolitik sorgt für Kritik. Weil Ende Oktober die Zwischenwahlen anstehen, in denen die Hälfte von Senat und Parlament neu gewählt wird, versucht die Regierung, den Peso künstlich stabil zu halten. Das ist teuer: Allein im August sollen 262 Millionen US-Dollar Reserven dafür eingesetzt worden sein. Selbst Vorbilder Mileis wie der ehemalige Wirtschaftsminister Domingo Cavallo attestieren: Sein Wirtschaftsmodell sei auf Sand gebaut. Cavallo warnt vor einem möglichen Währungsschock, der den scheinbar erreichten Rückgang der Inflation wieder zunichtemachen könnte.

Auch andere Versprechen sind geplatzt. Milei, der die «politische Kaste» bekämpfen wollte, regiert inzwischen mit Teilen der alten Politik. Der Präsident, der Korruption beenden wollte, ist selbst von Skandalen umgeben. In geleakten Audios wird seiner Schwester Karina vorgeworfen, über die Nationale Behörde für Menschen mit Behinderung. Bestechungsgelder in Millionenhöhe eingefordert zu haben. Auch beim Krypto-Projekt Libra stehen Vorwürfe der Vetternwirtschaft und Bestechung im Raum.

Entscheid an der Supermarktkasse

Das stört längst nicht alle: Wer kann, fliegt dank des starken Pesos um die Welt. Und der harte Kern der Milei-Wähler glaubt nicht an die Korruptionsvorwürfe. Sicherheitsministerin Patricia Bullrich vermutet gar eine Verschwörung Russlands und Chinas gemeinsam mit dem argentinischen Fussballverband – ohne Beweise vorzulegen.

Seit den gestrigen Wahlen ist Milei angeschlagen. Über Erfolg oder Scheitern seiner Regierung wird die Wirtschaft entscheiden. Oder, anders gesagt: Mileis Zukunft entscheidet sich nicht im Parlament, sondern an der Supermarktkasse.

Karen Naundorf

Südamerika-Korrespondentin

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Karen Naundorf ist SRF-Korrespondentin in Südamerika, Standort Buenos Aires. Sie hat in Berlin und Barcelona Kommunikation studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg absolviert und ist Fellow des Pulitzer Center on Crisis Reporting.

SRF 4 News, 8.9.2025, 8 Uhr ; 

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