In vielen Städten Frankreichs demonstrierten am Samstag Tausende gegen Polizeigewalt. Zwar sind Versammlungen mit mehr als zehn Personen im Zuge der Pandemie-Massnahmen immer noch verboten. Trotzdem griff die Polizei kaum ein, um das Verbot durchzusetzen – denn ihre Methoden stehen im Zentrum der Proteste.
Auch in Frankreich ist der Auslöser der Protestbewegung ein Todesfall – der allerdings schon vier Jahre zurückliegt: 2016 stirbt der 24-jährige Adama Traoré in einer Polizeikaserne in einem Vorort von Paris.
Der Fall löste damals Empörung aus. Über 80'000 Menschen protestierten 2016 gegen rassistische Gewalt bei der Polizei. Juristisch ist der Fall noch immer offen.
Herzstillstand oder erstickt?
Über die Todesursache streiten sich Experten. Gestorben sei Adama Traoré nach einem Herzstillstand, befand kürzlich ein Expertengutachten im Auftrag der Justizbehörden. Eine Gegenexpertise im Auftrag der Familie des Opfers kommt hingegen zu Schluss: Traoré ist erstickt nach einer brutalen Festnahme durch die Polizei.
Daraufhin gingen in Paris rund 20'000 Menschen auf die Strasse – und Adamas Schwester Assa rief der Menge zu: «Dies ist nur der Anfang.» Denn dieser Fall gehe alle an. Seither kommt es täglich an vielen Orten zu Demonstrationen.
Die junge Frau steht an der Spitze der Bewegung «Verité pour Adama», die ein Strafverfahren gegen die am Todesfall beteiligten Polizisten fordert. Die Justiz soll demnächst entscheiden, ob ein Verfahren eröffnet wird und steht nun unter Druck.
Innenminister will hart durchgreifen
Ist Rassismus auch bei Frankreichs Polizei ein Teil des Systems? Nach einem internen Bericht des Innenministeriums ist dies nicht der Fall. Er kommt zum Schluss: Bei 1500 untersuchten Beschwerden gegen die Polizei habe Rassismus in 30 Fällen eine Rolle gespielt.
Jede rassistische Entgleisung werde untersucht und bestraft, sagte Innenminister Christophe Castaner auf eine Anfrage im Senat, da sei er unerbittlich.
Den Tatbeweis musste der Innenminister inzwischen liefern. Am Freitag reichte er Strafanzeige gegen eine Facebook-Gruppe mit beinahe 8000 Mitgliedern ein. Anscheinend exklusiv für Angehörige der Polizei. Wie ein Online-Magazins berichtet, wurden in dem Chat Botschaften mit rassistischem oder sexistischem Inhalt ausgetauscht.
Innenminister Castaner lässt den Fall nun von der Staatsanwaltschaft untersuchen. Sie soll klären, welche Rolle die Polizisten in dieser Gruppe spielen.
Rassismus im Alltag
Es gehört zu Frankreichs Selbstverständnis, dass Rassismus keinen Platz hat. Doch im Alltag sei Rassismus geläufiger, als sich dies die Gesellschaft eingestehen wolle.
Das schreibt die Schriftstellerin Virginie Despentes in einem «offenen Brief an ihre weissen Freunde, die das Problem nicht sehen». Sie schildert, wie sie in Begleitung von arabischen oder schwarzen Freunden Demütigungen erfährt – was sie als weisse Frau sonst nicht erlebt.
Doch viele Demonstranten werfen der Polizei weniger Rassismus vor. Es geht vor allem um ihre Einsatzmethoden. Zum Beispiel, dass Polizisten Verdächtigen bei der Festnahme das Knie auf den Rücken pressen und das Gesicht gegen den Boden drücken.
Dies macht die Überwältigten wehrlos und kann zum Erstickungstod führen. In zahlreichen Ländern ist diese Methode verboten, in Frankreich wird sie dagegen häufig angewendet.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diese Praxis schon wiederholt kritisiert und gefordert, dass Frankreich über die Bücher geht.