Wer soll die EU in die Zukunft führen? In einer dritten Verhandlungsnacht will der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs endlich Klarheit schaffen. Zu Beginn des Sondergipfels in Brüssel lag erstmals ein Vorschlag für die künftige Besetzung der EU-Spitzenjobs auf dem Tisch.
Gemäss dem Vorschlag von Ratspräsident Donald Tusk würde der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans Jean-Claude Juncker an der Spitze der Europäischen Kommission beerben. Und ein Politiker der Liberalen soll Nachfolger von Tusk als Ratspräsident werden. Hinter den Kulissen wird der belgische Premierminister Charles Michel als Anwärter genannt.
Kann die EVP zurückkrebsen?
Die christdemokratische EVP als wählerstärkste EU-Partei müsste sich mit zwei weniger wichtigen Posten begnügen. Die Partei könnte die Aussenbeauftragte, beziehungsweise den Aussenbeauftragten stellen, sowie das Präsidium des Europäischen Parlaments besetzen. Für die EVP käme dies einem grossen Bedeutungsverlust gleich.
Der fünfte offene Spitzenjob – Präsidentin oder Präsident der Europäischen Zentralbank – würde zu einem späteren Zeitpunkt vergeben.
Frans Timmermans stünde wie kein anderer Kandidat für Kontinuität an der Spitze der EU-Kommission. Der einstige niederländische Aussenminister war während fünf Jahren Stellvertreter des amtierenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker von der EVP.
Weber gegen Timmermans
Timmermans ist wie Juncker polyglott, er beherrscht sieben Sprachen. Auch politisch unterscheiden sich die beiden Männer wenig. Während Juncker dem linken Flügel der Christdemokraten zuzuordnen ist, zählt Timmermans innerhalb der Sozialdemokraten zum rechten Flügel.
Die Sozialdemokraten, deren Europawahlkampf Timmermans als Spitzenkandidat leitete, mussten zwar deutliche Verluste verbuchen, stellen mit 21 Prozent der Sitze aber weiter die zweitstärkste Fraktion im EU-Parlament. Dieses muss dem Vorschlag der Staats- und Regierungschefs zustimmen.
Timmermans hätte im Parlament wohl grössere Chancen als EVP-Kandidat Manfred Weber aus Deutschland, der als unerfahren und farblos gilt.
Und die Frauen?
Wer am Ende das Rennen macht, ist jedoch nach wie vor offen. Vor allem, weil die Staats- und Regierungschefs ein Gesamtpaket schnüren wollen. Es soll nicht nur die grossen Parteien berücksichtigen, sondern auch die Regionen und die Geschlechter. Mindestens ein Spitzenjob soll nach Osteuropa gehen. Und der französische Präsident Emmanuel Macron hat kurz vor dem Gipfel betont, zwei der fünf offenen Jobs müssten mit Frauen besetzt werden.
Das Feilschen um die Spitzenjobs bleibt also eine Gleichung mit vielen Unbekannten. «Falls nötig, wird das Treffen bei einem gemeinsamen Frühstück am Montag fortgesetzt», heisst es im Programm des EU-Gipfels. Nicht ausgeschlossen, dass auf die dritte Verhandlungsnacht gar noch eine vierte folgen wird.