Zum Inhalt springen

Powerplay im Mittelmeer Journalist: «Eine Machtdemonstration der Türkei»

Seit Wochen streiten sich zwei Nato-Mitglieder: Griechenland beschuldigt die Türkei, vor griechischen Inseln illegal nach Erdgas zu suchen. Die Türkei stellt sich auf den Standpunkt, dass die Gewässer zum türkischen Festlandsockel gehören. Nun demonstriert die Türkei ihre Macht mit einer militärischen Übung. Was will sie damit erreichen?

Thomas Seibert

Journalist in der Türkei

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Thomas Seibert verdiente sich seine journalistischen Sporen bei der «New York Times» und den Nachrichtenagenturen Reuters und AFP, bevor er 1997 als freier Journalist in die Türkei ging. Nach einem kurzen Zwischenhalt als Berichterstatter in den USA kehrte er im Juni 2018 nach Istanbul zurück.

SRF News: Warum hält die Türkei ein so grosses Manöver ausgerechnet jetzt ab?

Thomas Seibert: Das ist eine Machtdemonstration. Es ist zwar ein regelmässiges Manöver, aber es wird nun als politisches Signal Richtung Griechenland, Zypern und Europa benutzt. Dieses Signal soll aussagen: Die Türkei ist kampfbereit.

Befürchtet man in Ankara nicht, dass sich die EU einmischen könnte?

Bis jetzt nicht. Die türkische Führung ist einigermassen entspannt, was die Frage von möglichen EU-Sanktionen angeht. Sie ist sicher, dass sie am längeren Hebel sitzt, weil sie damit drohen kann, die Zusammenarbeit mit Europa in der Flüchtlingspolitik aufzukündigen. Das heisst, die Türkei glaubt, mehr Einfluss auf die EU zu haben als andersherum.

Will die Türkei Griechenland aus der Ägäis und dem Mittelmeer vertreiben?

Nein, das will sie nicht. Sie will vor allem erreichen, dass sie mit Griechenland direkt über diese ungeklärten Gebietsansprüche verhandeln kann. So sähe sich die Türkei im Vorteil, denn die Türkei ist nun mal viel grösser als Griechenland. Und deswegen will Griechenland das vermeiden.

Die türkische Führung beklagt, dass die griechischen Ansprüche völlig überzogen seien.

Griechenland versucht, die EU zur Hilfe zu rufen oder schlägt vor, zum internationalen Gerichtshof zu gehen. Und das genau will die Türkei wiederum nicht. Deswegen gehen die Vorwürfe hin und her.

Ist eine solche Machtdemonstration der richtige Weg?

Darüber kann man bestimmt diskutieren. Die Türkei stellt sich auf den Standpunkt, dass sie sich in diesem Fall verteidigen muss. Die türkische Führung beklagt immer wieder, dass die griechischen Ansprüche, besonders was die Inseln in der Ägäis und im Mittelmeer angeht, völlig überzogen seien und dass die Griechen versuchten, die Türkei vor der eigenen Küste quasi einzuschnüren, und das will man nicht hinnehmen.

Die Türkei hat kein besonderes Vertrauen in die Nato.

Befürchtet die Türkei, dass die Nato und auch die EU die Position Griechenlands einnehmen könnten?

Genau. Die Türkei sieht sich hier einer Front gegenüber. Sie hat ursprünglich versucht, mit einzelnen EU-Mitgliedern zu verhandeln. Es gab auch eine Vermittlungsaktion von Deutschland. Diese hat nichts gebracht. Die EU, wie gesagt, gilt in Ankara nicht als seriöser Vermittler. Die USA stehen ebenfalls auf der Seite von Griechenland und Zypern, und deswegen hat die Türkei auch kein besonders grosses Vertrauen in die Nato.

Das klingt nach einer verfahrenen Situation. Wie geht es weiter?

Man muss zumindest in den nächsten Wochen damit rechnen, dass dieses Hin- und Her und auch das Säbelrasseln im Mittelmeer weitergehen werden. An diesem Donnerstag treffen sich die EU-Mittelmeerländer zu einem Gipfel auf Korsika. Da wird die Forderung nach EU-Sanktionen gegen die Türkei noch einmal bekräftigt. Und Ende des Monats tritt dann der EU-Gipfel zusammen, der sich mit dieser Frage befassen soll.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

SRF 4 News, 07.09.2020; 06:15 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel