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Präsidentenbüro in Colombo Über 1000 Einsatzkräfte räumen Protestlager in Sri Lanka

  • Mehr als 1000 Soldaten und Polizisten haben mitten in der Nacht das Hauptprotestlager um das sri-lankische Präsidentenbüro gestürmt und aufgelöst.
  • Mindestens neun Menschen seien festgenommen worden.
  • Die Demonstrierenden verlangen den Rückzug des neu vereidigten Präsidenten Ranil Wickremesinghe.

Nur Stunden zuvor war der bisherige Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe als Staatsoberhaupt vereidigt worden. Die Demonstrierenden hatten auch seinen Rückzug von der Macht verlangt. Sie sehen Wickremesinghe als Verbündeten des bisherigen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa. Dieser hatte sich vergangene Woche angesichts beispielloser Massenproteste per Flugzeug ins Ausland abgesetzt.

Demonstrant: «Brutaler Angriff»

«Es war ein systematischer und vorsätzlicher Angriff», sagte ein Anführer der Protestbewegung, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. «Sie haben die Menschen wirklich brutal angegriffen.» Es soll mehr als zehn Verletzte geben.

Die Sicherheitskräfte hätten gegenüber Medienvertretenden verkündet, dass es kein Problem sei, sich medizinisch versorgen zu lassen, sagt Natalie Mayroth, freie Journalistin. Auch ein BBC-Journalist wurde verletzt, wie das Medium selbst bestätigt. «Sein Telefon wurde ihm abgenommen. Videomaterial, das er aufgenommen hatte, wurde gelöscht.»

Mayroth ist in Kontakt mit Protestierenden und Medienschaffenden im Camp. Eine klare Verifizierung der Angaben sei schwierig. «Es war nicht möglich, als Medienvertretende noch mal die Camps zu besuchen, wenn man sich nicht dort schon befunden hat.» Es gebe jedoch zahlreiche Fotos und Videos von als zuverlässig geltenden Quellen, die die Gewalt dokumentieren.

Soldaten in Sri Lanka stehen in Uniform und mit Sturmgewehren nebeneinander.
Legende: Bei Tagesanbruch (Lokalzeit) räumten dutzende Soldaten das Lager, das vor dem Sekretariat des Präsidentenpalasts lag. Reuters

Die Protestierenden haben erneut zu einer Kundgebung aufgerufen. «Um auf diese Gewalt aufmerksam zu machen.» Diese findet aber an einem alternativen Ort statt, am zentralen Bahnhof.

Protestauflösung mit möglichen Folgen

Bisher verliefen die Proteste weitgehend friedlich, das Militär hat sich bisher sehr zurückgehalten. Deshalb überrascht es Natalie Mayroth, dass Polizei, Marine und Armee nun dabei sind, die Region weiter abzuriegeln – und dafür ein hohes Aufgebot einsetzt.

So ist die Stimmung in der Bewegung

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Am Donnerstagabend sei die Stimmung bedrückt gewesen, sagt die freie Journalistin Mayroth vor Ort. «Menschen sind seit über 100 Tagen zusammengekommen. Sie haben campiert, haben ihre Gedanken aufgeschrieben. Sie haben Forderungen formuliert, wie eine neue Regierung, wie ein neues Lager aussehen kann, wie das Land wieder aufgebaut werden kann. Und sie haben gehofft, dass jetzt eine Übergangsregierung vom Parlament gewählt wird, die nicht das alte Establishment verkörpert.»

Darauf müssen die Menschen noch länger warten. «Mit Ranil Wickremesinghe als Präsident ist jemand im Amt, den sie sich nicht gewünscht hätten. Aber uns wurde gesagt, sie sind nicht überrascht. Deswegen war die Stimmung etwas geknickt. Aber es war sehr ruhig.»

Wie es weitergeht, ist noch offen. Denn eigentlich sei Wickremesinghe ein Politiker, der dem Militär nicht unbedingt nahestehe. «Ich glaube, dass er ein Zeichen setzen wollte.» Genau dieses Zeichen könnte aber schlecht aufgenommen werden. «Denn er hat gesagt, er möchte Sri Lanka aus der Krise führen. Und er möchte in den Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eine führende Rolle spielen.

Das gewaltsame Vorgehen gegen die Protestierenden könnte Verhandlungen des stark verschuldeten Landes mit dem IWF beeinträchtigen. Sri Lanka hat angesichts der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten unter anderem dort um Hilfe gebeten. Saliya Pieries von der Anwaltskammer des Landes sagt am Freitag, dass die unnötige Anwendung von roher Gewalt dem internationalen Ruf Sri Lankas nicht zuträglich sei.

Einst galt der Inselstaat südlich von Indien als neues Singapur, als aufstrebendes Land mit einer wachsenden Mittelklasse. Inzwischen fehlt es den Menschen im 22-Millionen-Staat an allem. Sie müssen tagelang bei Tankstellen anstehen, um Benzin oder Diesel zu erhalten. Der Strom fällt regelmässig aus. Es fehlen Gas zum Kochen und Medikamente. Die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen. Dem stark verschuldeten Land fehlt das Geld, um wichtige Güter zu importieren.

Verschiedene Gründe für die Krise

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Die Gründe für die Krise sind vielfältig: Misswirtschaft und Korruption spielen eine Rolle. Aber auch die Folgen der Corona-Pandemie. Sie haben vor allem den wichtigen Tourismussektor hart getroffen.

Wegen der Krise gingen in den vergangenen Wochen zehntausende Menschen gegen die politische Führung auf die Strasse. Viele von ihnen machen auch die Familie des geflohenen Ex-Präsidenten Rajapaksa verantwortlich, die zur Machtelite des Landes gehört.

SRF 4 News, 22.07.2022, 05:30 Uhr ; 

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