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Premiere in Rumänien Ein Deutscher wird Stadtpräsident von Temeswar

Dirigent auf neuen Pfaden: Die drittgrösste Stadt Rumäniens wird neu vom 37-jährigen Deutschen Dominic Fritz geführt.

Dominic Fritz kannte man in Temeswar bis vor Kurzem vor allem als Dirigenten des «Timișoara Gospel Project». Das ist ein Chor mit über 150 Stimmen, den er seit Jahren dirigiert.

Höher und höher könnte sein Lebensmotto sein: Mit 19 kommt der Schwarzwälder nach Temeswar, macht ein Praktikum in einem Kinderheim und verliebt sich in die westrumänische Barockstadt.

Politologie – Entwicklungshilfe in Afrika – Politik

Doch die Liebe muss warten: Es folgt ein Politologie-Studium in Deutschland, Frankreich, England. Dann führt ihn die Entwicklungszusammenarbeit nach Afrika. Darauf wird er für Jahre Büroleiter des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler in Berlin.

Und dann, am letzten Sonntag in Temeswar: Die Rumänen wählen erstmals einen Stadtpräsidenten, der nicht in Rumänien geboren wurde und hier keine Verwandten hat. Mit dieser Wahl beende Temeswar 30 Jahre Übergangszeit seit dem Fall des Kommunismus, ruft Fritz in der Wahlnacht in perfektem Rumänisch seinen Anhängern zu.

Mit der Übergangszeit meint Fritz die Ära der Lokalbarone. Die haben in weiten Teilen Rumäniens viel Macht – wie schon zu Zeiten des Kommunismus. Sie kontrollieren bis hinunter zur Putzfrau in der Dorfschule, wer welchen Job in der Verwaltung, wer welchen Auftrag bekommt.

Kampfansage an alte Seilschaften

Diese Vetternwirtschaft lähme Rumänien und widere viele an, sagt Fritz: «Deshalb haben die Temeswarer jetzt jemanden gewählt, der keine Seilschaften hat und für einen echten Neubeginn stehen kann.»

Diese Vetternwirtschaft lähmt Rumänien und widert viele an.
Autor: Dominic Fritz

Ein Neubeginn, der vor allem transparent sein müsse: «Wir müssen es schaffen, alle Verträge, Ausschreibungen und das Budget der Stadt ganz transparent zu veröffentlichen. Auch noch weiter zu gehen, als dass vielleicht in Deutschland oder der Schweiz üblich ist.» Nur so könne man das Vertrauen in die Politik wieder kitten, so Fritz.

USR-Plus – Partei mit Potenzial und hohen Zielen

Das Versprechen, die Korruption auszumerzen, hat der erst vier Jahre alten Partei USR-Plus von Fritz auch in anderen rumänischen Städten grosse Wahlerfolge beschert. Auf nationaler Ebene ist sie noch zu klein, um allein viel zu bewirken. Und so spannt sie notgedrungen auch mit Kräften zusammen, welche die Klüngelei in Rumänien in den letzten Jahren da und dort mitgetragen haben.

Das sei ein Risiko, gibt Fritz zu. Aber eines, das hoffentlich nicht mehr lange nötig sei: «Wir wollen bei den Parlamentswahlen im Dezember die Erfolgsserie fortsetzen und dann eben nicht mehr eine kleine, sondern die grösste oder zweitgrösste Partei sein.»

Grosse Erwartungen

Ob das gelingt, hängt auch vom ersten ausländischen Stadtpräsidenten Rumäniens ab. Auf ihm liegen grosse Hoffnungen – zum Teil wohl zu grosse: «Vielleicht gibt es so eine heimliche Hoffnung, dass mit meiner Wahl nun bald Zustände wie in Deutschland herrschen. Das werde ich natürlich nicht einlösen können.»

Aber der Frischgewählte ist überzeugt, dass er die schon heute verhältnismässig wohlhabende Universitätsstadt Temeswar transparenter, grüner und sauberer machen kann.

Mit dem Taktstock

Dabei werde ihm seine Erfahrung als Chordirigent helfen: «Als Dirigent bin ich der Einzige auf der Bühne, der nicht singt. Ich muss die Anderen zum Singen bringen, damit sich jede Stimme einbringen kann und es trotzdem gut klingt.» Als Stadtpräsident sei seine Aufgabe ganz ähnlich. Mit dem grossen Unterschied, dass Harmonie in der Politik viel seltener sei als in einem Gospelkonzert.

Rendez-vous. 02.10.2020, 12:30 Uhr

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