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Problematische Entsorgung Im Visier der EU-Behörden: MSC-Schiff auf Schrottplatz in Indien

Am 20. Februar 2023 beschleunigt die MSC Floriana ein letztes Mal. Danach wird sie mit grossem Tempo auf einen Strand in Indien gesetzt. In den folgenden Monaten wird das Schiff in Stücke zerschnitten.

Die MSC Floriana gehörte der Containerschiff-Reederei MSC. Ihr Hauptsitz: Ein gläsernes Hochhaus an bester Lage in Genf.

Die Entsorgung des Schiffes in Indien ist rechtlich umstritten. Recherchen von SRF Investigativ zeigen: Das Schiff ist den EU-Behörden aufgefallen. Über Europol haben sie das Bundesamt für Polizei (Fedpol) kontaktiert. Der Verdacht: Hier könnte es sich um einen möglichen Verstoss gegen die europäische Abfall-Verbringungs-Verordnung handeln. MSC bestreitet das.

SRF hat die letzte Reise des Schiffes rekonstruiert.

Foto der MSC Floriana
Legende: Die MSC Floriana wurde 1986 in Deutschland gebaut und ist 187 Meter lang. Es wechselte über die Jahre mehrmals den Besitzer, Name und Flagge. Zuletzt gehörte es MSC und war unter der Flagge von Panama registriert. MarineTraffic.com / aratino

Containerschiffe sind das Rückgrat des weltweiten Handels. Am Ende ihrer Lebensdauer werden sie meist an einem Strand in Indien, Bangladesch oder Pakistan entsorgt. Diese Arbeit ist gefährlich, immer wieder sterben dabei Menschen. Auch die Belastung für die Umwelt ist hoch.

Kommt hinzu: Der Export von zur Entsorgung bestimmter Schiffe ist teilweise verboten. So dürfen diese nicht aus der EU in ein nicht-OECD Land exportiert werden. Also auch nicht nach Indien.

Auch bei der Entsorgung der MSC-Floriana gibt es Hinweise dafür, dass diese gar nicht nach Indien in das Schiffsrecycling hätte gebracht werden dürfen – Indizien liefert etwa die Fahrt des Schiffes von Europa bis zum Schrottplatz.

Übermalte Logos als Tarnung?

SRF Investigativ hat auf sozialen Medien und mit einem Team vor Ort Bilder und Videos der MSC Floriana gesammelt. Diese zeigen: Der Name des Schiffs, sowie das Logo der Eigner wurden vor der Ankunft am Schrottplatz übermalt. Möchte die Reederei nicht mit den Bedingungen am Abwrack-Strand in Verbindung gebracht werden?

Ein Sprecher der Reederei schreibt uns dazu: Es sei so üblich, dass die Logos nach dem kommerziellen Betrieb entfernt würden und: «MSC bleibt für das Recycling seiner Schiffe verantwortlich.»

Schiffe enthalten oft giftige Stoffe

Um zu verstehen, warum das Entsorgen von Schiffen in Indien umstritten ist, muss man die Schiffsabwrackungs-Industrie verstehen.

Die Industrie in Alang ist ein wichtiger Wirtschaftszweig im indischen Bundesstaat Gujarat. Die Schiffe werden am Strand, noch halb im Wasser liegend, auseinandergebaut. Der Stahl wird danach eingeschmolzen und weiterverkauft. Weiterverkauft und in Umlauf gebracht wird auch alles andere: Möbel, Rettungsboote, Seile. Und mit den alten Schiffen kommen auch giftige Stoffe wie Asbest, Schwermetalle, Ölreste, teilweise auch radioaktive Materialien nach Indien.

Die MSC Floriana ist nicht das einzige Schiff von MSC, welches hier landete. Insgesamt sind es 2023 fünf Container-Schiffe von MSC, wie Recherchen von SRF Investigativ zeigen.

Henning Gramann ist einer der wichtigsten Experten Deutschlands für Gefahrenstoffe in Schiffen. Er hat Hunderte Schiffe darauf untersucht. Die MSC Floriana hat er nicht selbst inspiziert, aber er weiss, welche Stoffe in solchen Schiffen üblicherweise zu finden sind: «Dass diese Schiffe frei von Asbest sind, halte ich für sehr unwahrscheinlich.» Weiter seien Ozon-abbauende Substanzen in der Isolation, sowie diverse Schwermetalle in dem Schiff zu erwarten. MSC schreibt dazu: «Alle von MSC betriebenen Schiffe erfüllen die geltenden Vorschriften und verfügen über ein Inventar der gefährlichen Materialien.»

Öl-Lecks am Strand

Die Schiffe am Strand enthalten zum Teil auch Ölreste, welche ins Meer gelangen. Denn aufgeschnittene Schiffe können von den Gezeiten ausgespült werden.

Grössere Verschmutzungen sind auf Satellitendaten erkennbar – zuletzt im April 2023.

Was die genaue Quelle des Ölteppichs ist, lässt sich anhand der Satellitenbilder nicht bestimmen. Aber «Diese Öllecks stehen zweifellos in Zusammenhang mit den Aktivitäten am Strand», sagt der Experte für die Analyse von Satellitendaten Hugo Isaksen.

Satellitenbild
Legende: SRF Investigativ entdeckte auf einem Satellitenbild vom 12. April 2023 eine Ölverschmutzung. Ein Experte der norwegischen Firma KSAT bestätigte dies. Zudem fand SRF Investigativ zehn weitere Öllecks in den letzten drei Jahren. Copernicus-Sentinel (Daten) / ESA (Verarbeitung) / KSAT (Analyse)

MSC streitet ab, dass die Öllecks am Strand in Zusammenhang mit der Schiffsverschrottung steht: «Die indischen Behörden haben bestätigt, dass es in den letzten drei Jahren in Alang beim Schiffsrecycling keine Vorfälle von Ölverschmutzung gegeben hat.»

Gefährliche Arbeit

Die Schiffe werden am Strand mit Schneidbrennern in Stücke geschnitten. Sind sie nicht richtig gelüftet, kann es zu Explosionen kommen. Oder grosse Schiffsteile stürzen ungesichert zu Boden.

Bei dieser Arbeit kommt es immer wieder zu Unfällen. Die NGO «Shipbreaking Platform» kritisiert die Praxis des sogenannten «Beachings», also das Verschrotten am Strand. Die NGO hat seit 2009 über 430 Todesfälle an den drei Abwrack-Stränden in Südasien gezählt.

Gefährliche Szenen vom Schrottplatz lassen sich auch im Internet dokumentiert finden.

Besserung gelobt

Die indischen Werften sagen, dass sich die Bedingungen in den letzten Jahren deutlich verbessert hätten. Viele Werften besitzen inzwischen ein Hongkong-Zertifikat, welches einen gewissen Standard für sicheres und umweltfreundliches Schiffsrecycling garantieren soll. Dieses Zertifikat beruht auf einem internationalen Abkommen, welches jedoch noch nicht in Kraft ist.

Bessere Werften besitzen einen Beton-Boden, wo die abgeschnittenen Schiffsteile mit dem Kran abgelegt werden. Auch die Werft, in welcher die MSC Floriana liegt, gehört zu den gut ausgerüsteten mit Zertifikat. Die Reederei schreibt dazu: «Die Auswahl der Werften durch MSC erfolgt nach einem gründlichen und strengen Prüfungsverfahren. Dies beinhaltet (...) die Einhaltung der Bestimmungen der Hongkong-Konvention (…)».

MSC ist Stammkunde in Indien

Mit der MSC Floriana werden aktuell fünf Schiffe von MSC in Indien abgewrackt. Über 90 sollen es laut «Shipbreaking Platform» alleine im letzten Jahrzehnt gewesen sein.

Laut Branchen-Kennern gibt es in Indien für ein altes Schiff etwa das Doppelte als bei einer Abwrackwerft in Europa. Eine Schiffsdatenbank beziffert den Schrottpreis der MSC Floriana auf 4.7 Millionen US Dollar.

«Es ist das Ausnutzen von schlechten Praktiken für mehr Profit», heisst es von der «Shipbreaking Platform». Die Reederei entgegnet: «Alang bietet (...) die verantwortungsvollste Lösung und hat die Kapazität, die Schiffe aufzunehmen (...). Die europäischen Werften verfügen heute nicht über ausreichende Kapazitäten.»

Basel Konvention – Exportverbot für Sondermüll

«Wir denken bei der Schifffahrt an den Vierwaldstättersee oder den Bodensee und an ein Dampfschiff. Kaum jemand weiss, dass wir zwar eine ganz kleine Flagge haben, aber eine Weltmacht sind im Reedereiwesen», sagt der renommierte Jurist und Anti-Korruptionsexperte Mark Pieth.

Zusammen mit der Juristin Kathrin Betz hat er ein Buch über die Hochseeschifffahrt der Schweiz geschrieben. Die beiden haben Anfang dieses Jahres auch den Abwrackstrand in Alang besucht. Dass die Reederei MSC mit Hauptsitz in Genf in Indien ihre Schiffe entsorgt, finden sie rechtlich heikel.

Entscheidend ist dabei die Basler Konvention. Das Internationale Abkommen verbietet den Export von Sondermüll aus OECD-Ländern in Nicht-OECD-Länder. Das Abkommen wurde 2019 mit dem Ban Amendment verschärft und ist rechtlich bindend.

«Wenn das Schiff toxischen Sondermüll enthält wie Asbest, dann ist das verboten», sagt Pieth auf die MSC Floriana angesprochen. MSC widerspricht: «Dieser Verkauf wurde in voller Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen und Vorschriften durchgeführt». Ausserdem exportiere MSC keine Abfälle.

Das BAFU, welches für die Kontrolle der Basler Konvention zuständig ist, sagt: «In diesem Fall ist die Schweiz (...) nicht für die Durchsetzung des Basler Übereinkommens zuständig. Dies, weil der Abfall nicht über die Schweizer Zollgrenze gebracht wird.»

Die beiden Juristen widersprechen: «Die Basler Konvention hat einen Passus drin, der auch das Organisieren der Verbringung von der Schweiz aus zwischen Drittstaaten erfasst», so Betz. Zudem bestehe dabei für MSC eine Meldepflicht – dessen Einhaltung das BAFU kontrollieren müsse.

Das Bundesamt für Umwelt widerspricht: Da Schiffe in der Schweiz nicht als Sondermüll eingestuft sind, selbst wenn sie solchen enthalten, bestehe keine Meldepflicht. Eine Auslegung der Konvention, die wichtige EU-Länder anders handhaben und Schiffe klar als Sondermüll deklarieren.

MSC Floriana im Visier der Behörden

Zurück zur MSC Floriana. Als sie im Februar in Indien auf den Strand fährt, bleibt dies nicht unbemerkt. Von einer gut unterrichteten Quelle weiss SRF Investigativ, dass Behörden in der EU auf das Schiff aufmerksam wurden.

Der Verdacht: Ein Verstoss gegen die EU Waste Shipment Regulation. Das ist die Europäische Abfall-Verbringungs-Verordnung. Diese verbietet den Export von Schrott-Schiffen von der EU in ein nicht OECD-Land wie Indien.

Alla Pozdnakova, Professorin für Maritimes Recht an der Universität Oslo, erklärt es so: «Sobald der Eigner beschlossen hat, das Schiff zu entsorgen, darf es nicht mehr aus dem OECD-Raum gebracht werden.»

Die Verordnung gelte auch für ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, solange ein Schiff in einem EU-Mitgliedstaat sei. Und zwar dann, wenn zu diesem Zeitpunkt schon die Absicht bestehe, das Schiff zu entsorgen, so Pozdnakova. Sie hat sich mit etlichen Fällen von Schiffen beschäftigt, die illegal aus der EU nach Südasien gebracht wurden.

Fedpol bestätigt Kontakt

Im Fall der MSC Floriana hat sich eine EU-Behörde an die Schweiz gewendet. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) schreibt auf Anfrage: «Wir können Ihnen bestätigen, dass Fedpol von einer europäischen Partnerbehörde via Europol-Kanal diesbezüglich kontaktiert wurde.» Die Informationen habe das Fedpol an die Kantonspolizei Genf weitergeleitet, wo der Eigentümer des Schiffes ansässig ist.

Die Genfer Polizei zeigt sich schweigsam: Keine Auskunft zu Einzelfällen. SRF Investigativ fragt nach: Wurde ein Strafverfahren eröffnet? «Wir können weder bestätigen noch dementieren, ob in diesem Fall ein Strafverfahren eingeleitet wurde oder nicht», so die Kantonspolizei.

Die frühere Eigentümerin der MSC Floriana sagt dazu: «MSC geht davon aus, dass das Fedpol keine Ermittlungen in dieser Angelegenheit eingeleitet hat.»

Wann stand das Ziel der letzten Reise fest? 

Wir rekapitulieren: Das Schiff MSC Floriana war am 14. Januar noch in Barcelona. Am 20. Februar fuhr es in Indien auf den Strand. Gut ein Monat liegt dazwischen. Hatte die Reederei MSC beim Ablegen in Barcelona schon die Absicht, das Schiff in Indien zu verschrotten?

Die NGO «Shipbreaking Plattform» sagt dazu: «Die MSC Floriana wurde aus unserer Sicht klar verkauft, als sie noch in europäischen Gewässern war.» Solche Entsorgungen seien von langer Hand geplant. Auch Personen aus der Branche sagen gegenüber SRF Investigativ, solche Deals dauerten oft länger als einen Monat, die Verschrottung werde nicht kurzfristig entschieden.

MSC sagt, das sei falsch und weist den Vorwurf entschieden zurück. «Die Entscheidung wird am Verkaufsort getroffen.» Schiffsabwrackungen in Südasien sind weit verbreitet, auch bei anderen Reedereien aus ganz Europa. Die rechtliche Situation ist komplex.

Heute – Ende Mai – liegt nur noch ein Teil des Schiffrumpfes der MSC Floriana am Strand in Alang, doch auch dieser wird bald verschwinden.

Impressum

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Legende: NGO Shipbreaking Platform

Conradin Zellweger (Autor), Jonas Glatthard, Dominique Marcel Iten (Redaktion), Ulrich Krüger (Design), Fabian Schwander (Frontend-Entwicklung)

SRF 4 News, 31.05.2023, 17:15 Uhr;

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