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Proteste gegen Lithium-Mine Enteignungsgesetz treibt Tausende Serben auf die Strasse

Tausende wehren sich in erster Linie gegen ein dubioses Enteignungsgesetz. Doch die Menschen in Serbien wollen endlich mehr Demokratie.

Darum geht es: In mehreren Städten Serbiens haben am Wochenende Tausende Umweltschützerinnen und Umweltschützer Brücken, Autobahnen und Strassen blockiert. Sie protestierten damit gegen ein neues Gesetz der Regierung, das den Abbau von Rohstoffen erleichtern und die Rechte von Landbesitzerinnen und Landbesitzern einschränken will.

Viele Rechtsexperten sagen, dass das Enteignungsgesetz verfassungswidrig ist.
Autor: Adelheid Wölfl Südosteuropa-Korrespondentin «Der Standard»

Das will das Enteignungsgesetz: Das am 26. November im Eilverfahren vom serbischen Parlament verabschiedete Gesetz sieht Enteignungen vor, wenn solche «im nationalen Interesse» sind. Viele Serben im Westen des Landes befürchten jetzt, dass ihnen das Land weggenommen wird, weil bei Loznica eine riesige Lithium-Mine geplant ist. Allerdings betonte Staatspräsident Alexander Vucic, dass das Enteignungsgesetz nichts mit dieser Lithium-Mine zu tun habe. Es gehe vielmehr um den Bau von Autobahnen oder Ähnlichem.

Deshalb ist das Gesetz umstritten: «Wenn man sich das Gesetz anschaut, dann gibt es durchaus einen Zusammenhang mit dem Bergbau», sagt Adelheid Wölfl. Sie ist Südosteuropa-Korrespondentin der österreichischen Tageszeitung «Der Standard». Gegen einen Enteignungsentscheid müsse innert fünf Tagen Einspruch eingelegt werden, über den innert weiteren 15 Tagen entschieden wird. «Viele Rechtsexperten sagen, dass das verfassungswidrig ist», sagt Wölfl. Deshalb deute alles auf einen Zusammenhang mit der Lithium-Mine hin, denn dort wehrten sich zahlreiche Bauern gegen den Verkauf ihres Landes an die Minenbetreiber.

Grossräumige Verseuchung befürchtet

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Der britisch-australische Bergbaukonzern Rio Tinto hat im Westen Serbiens bei Loznica bereits viel Land gekauft, um dort Lithium abzubauen. Er kündigte Investitionen in Höhe von 2.4 Milliarden Dollar in das Projekt an. Ab 2026 soll das Werk «Jadar» jedes Jahr 58'000 Tonnen Lithiumcarbonat produzieren – plant Rio Tino.

Umweltschützer befürchten durch die grösste Lithium-Mine Europas allerdings eine weiträumige Verseuchung von Grundwasser, weil das ausgebrochene Gestein auch einen hohen Arsengehalt aufweist. Der giftige Stoff könnte aus den Abraumhalden ausgewaschen werden und die Gegend verseuchen.

Lithium wird zur Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien gebraucht, die in Geräten vom Smartphone bis zum Elektroauto als Energiespeicher dienen. Deshalb dürfte die Bedeutung von Lithium in Zukunft weiter zunehmen.

Das ist die Rolle der Regierung: «Es ist unklar, welches Interesse die serbische Regierung daran hat, dass ein privater Konzern dort Lithium abbaut – der Erlös fliesst ja nicht direkt in die Staatskasse», sagt Wölfl. Das Ganze sei «extrem intransparent». Viele Menschen in Serbien verlören denn auch zunehmend das Vertrauen in die Regierung und befürchteten, dass ihnen künftig Land aus irgendwelchen Gründen weggenommen werden könnte. Der Protest hat inzwischen ganz Serbien erfasst. Das zeige, so Wölfl, «dass die Bürger mehr Transparenz und mehr Rechte wollen».

Die Serbinnen und Serben wollen mehr Transparenz und mehr Rechte.
Autor: Adelheid Wölfl Südosteuropa-Korrespondentin der «Standard»

Das wollen die Protestierenden: Die Demonstranten fordern, dass das Enteignungsgesetz aufgehoben und überarbeitet wird. «Es soll nicht so leicht möglich sein, arme Bauern, die seit Generationen von der Bestellung ihres Landes leben, so leicht zu enteignen und damit ihre Existenz zu zerstören», sagt Wölfl. Ausserdem solle der Umwelt mehr Sorge getragen werden – dafür habe der serbische Staat eine Sorgfaltspflicht, argumentierten die Demonstranten. Im Grunde werde mehr Demokratie gefordert.

Es ist ein Stimmungswechsel in Serbien festzustellen.
Autor: Adelheid Wölfl Südosteuropa-Korrespondentin «Der Standard»

So geht es jetzt weiter: «Staatspräsident Vucic wird das Gesetz wohl unterschreiben», glaubt die Journalistin. Doch die Protestbewegung, «und die neuen, wachen Bürger», würden dafür sorgen, dass in Serbien künftig mehr Transparenz und Sorgfaltspflicht in der Regierung Einzug halten. «Es ist eine sehr positive und für Serbien aussergewöhnliche Bewegung, die Mut und Hoffnung macht», so Wölfl. Menschen aus der Stadt würden sich mit Schwächeren vom Land solidarisieren, ausserdem getrauten sie sich, offen ihre Meinung zu sagen. «Es ist ein Stimmungswechsel in Serbien festzustellen – und der Wille, sich zu wehren und für mehr Pluralismus, Mitsprache und Transparenz zu kämpfen.»

SRF 4 News, 7.12.2021, 6.20 Uhr ; 

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