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Proteste gegen Personalmangel Spanien: Sparpolitik bringt viele Ärztinnen und Ärzte ans Limit

Personalmangel und Überbelastung: In Madrid streiken seit Montag Tausende Kinderärztinnen und Hausärzte.

Wer in Spanien derzeit auf medizinische Versorgung angewiesen ist, muss sich gedulden. Rund um die Hauptstadt Madrid befinden sich seit Montag über 5000 Haus- und Kinderärztinnen und Ärzte in einem unbefristeten Streik.

Reinhard Spiegelhauer

ARD- Korrespondent

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Spiegelhauer arbeitet für die deutsche ARD und lebt in Madrid.

SRF News: Wie wirkt sich der Streik auf die Gesundheitsversorgung aus?

Reinhard Spiegelhauer: In Spanien können die Behörden in kritischen Strukturen einen Minimaldienst vorschreiben. Bei den Hausärzten und Notfallkinderärzten ist jetzt eine Quote von 50 Prozent festgesetzt worden. In vielen grösseren Gesundheitszentren sind daher statt vier nur zwei Haus- oder Familienärzte da, nur ein Kinderarzt. Und die Gewerkschaft hat Patientinnen und Patienten, die nicht wirklich dringend in die Sprechstunde müssen, empfohlen, ihren Besuch vorerst zu verschieben.

Was fordern die streikenden Ärztinnen und Ärzte?

Vor allem fordern sie mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten. Zurzeit betreuen sie pro Schicht nach eigener Aussage etwa 50 bis 60 Patientinnen und Patienten. Pro Sprechstundentermin bleiben also keine zehn Minuten Zeit. Mindestens diese zehn Minuten aber, in etwa 30 Konsultationen pro Schicht, verlangen die Ärztinnen und Ärzte.

Die Regionalregierung hat die Zahl der Notfallambulanzen verdoppelt – ohne aber das Personal aufzustocken.

Die Arbeitsbelastung sei sonst einfach zu hoch, und Patientinnen und Patienten könnten dann nicht angemessen betreut werden. Auch die Notaufnahmen sind seit langer Zeit überlastet. Die Regionalregierung hat deshalb die Zahl der Notfallambulanzen verdoppelt – ohne aber das Personal gleichzeitig aufzustocken.

Was heisst das für die Menschen, die jetzt auf medizinische Versorgung angewiesen sind?

Das bedeutet grundsätzlich wenig persönliche Ansprache, weil es viele Termine in kurzer Zeit sind, und gleichzeitig auch immer wieder Wartezeiten. Die Regionalregierung wollte das mit verstärkten Telesprechstunden etwas abfedern, doch diese kamen bei vielen Patientinnen und Patienten überhaupt nicht gut an. Und auch dafür braucht es Personal.

Der Personalmangel betrifft nicht nur die ambulante Behandlung in Gesundheitszentren, sondern auch Kliniken. Bei nicht unbedingt lebensbedrohlichen, aber wichtigen Operationen wie Herzklappen, grauer Star, künstliche Hüfte oder Knie sind Wartezeiten von einem Viertel bis zu einem halben Jahr keine Seltenheit. Weder die technische Ausstattung noch die Qualifikation der Ärztinnen und Ärzte oder der Pflegekräfte ist das Problem. Es gibt schlicht zu wenig Personal in den Kliniken, in den Gesundheitszentren.

Warum ist Spaniens Gesundheitssystem in dieser personell prekären Situation?

Die Wurzeln reichen um die zehn Jahre zurück. Nach der Euro- und der Finanzkrise mussten die Zentral- und Regionalregierungen massiv sparen. Und das hat sich eben auch in den Gesundheitsbereich hinein ausgewirkt. Damals sind zehn Milliarden Euro eingespart worden. In Madrid alleine sind zum Beispiel 2012 sechs Kliniken und 27 Gesundheitszentren privatisiert worden. Für Menschen ohne private Krankenversicherung sind die weggefallen.

Die Sparpolitik hatte auch zur Folge, dass gut ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner ins Ausland abgewandert sind.

Das staatliche Gesundheitssystem für alle hat in Spanien lange als vorbildlich gegolten. Aber da ist einiges gekürzt worden und deswegen hat es vor zehn Jahren massive Proteste gegeben. Die durchgesetzte Sparpolitik hatte eben auch zur Folge, dass gut ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner ins Ausland abgewandert sind, wo sie problemlos eine gut bezahlte Stelle gefunden haben.

Das Gespräch führte Silvia Staub.

HeuteMorgen, 22.11.2022, 06:00 Uhr ; 

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