Im Süden Iraks ist es zu Zusammenstössen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen, es gab Tote und viele Verletzte. Tausende Menschen demonstrieren seit rund zehn Tagen gegen die hohe Arbeitslosigkeit, Misswirtschaft und Korruption. SRF-Auslandredaktor Philipp Scholkmann sagt, was die Leute auf die Strasse treibt.
SRF News: Weshalb demonstrieren die Menschen ausgerechnet im Süden von Irak, in der wohlhabendsten Region des Landes mit ihren enormen Ölreserven?
Philipp Scholkmann: Weil die Leute nichts von diesem Reichtum sehen. Im Moment herrschen Temperaturen um 50 Grad. Die Wasserversorgung funktioniert nicht richtig. Auch beim Strom gibt es immer wieder Unterbrüche, sodass die Klimaanlagen nicht laufen. Und es gibt viel zu wenig Arbeit. Die Menschen fühlen sich von ihren eigenen Eliten vernachlässigt.
Was werfen sie ihnen vor?
Dass die Eliten vor allem in die eigenen Taschen wirtschaften. Vor 15 Jahren versprach man den Menschen mit der amerikanischen Invasion ein besseres Leben. Doch kaum etwas ist unten angekommen, die Eliten bedienen sich schamlos selbst. Das schürt die Wut.
Die Elite und die Bevölkerung in der Region sind mehrheitlich schiitisch. Handelt es sich um einen innerschiitischen Konflikt?
Diese Proteste äussern sich für einmal nicht entlang konfessioneller Gegensätze, also Sunniten gegen Schiiten. Hier zeigt sich: Der eigentliche Kern der Probleme des Landes hat wenig mit Religion zu tun. Die Misswirtschaft und die Korruption zermürben sowohl die Bevölkerung im sunnitischen Mossul im Norden als auch im schiitischen Basra im Süden.
Der schiitische Prediger Muktada al-Sadr, der die Wahlen vor zwei Monaten gewonnen hat, stellt sich vor den Protest. Ist das glaubwürdig?
Dieser Populist ist auf jeden Fall ganz in seiner Rolle, wenn er so auftritt. Der Kampf gegen Korruption ist seine Kernbotschaft. Es gibt Vorwürfe, er habe bei den Protesten seine Hand im Spiel. Das mag bis zu einem gewissen Grad stimmen. Der Verdacht der politischen Instrumentalisierung ist in Irak immer naheliegend.
Die Eliten bedienen sich schamlos selbst. Das schürt die Wut.
Aber die Wut ist real. Die Leute haben genug von den ständigen Stromunterbrüchen, vom ungeniessbaren Trinkwasser und den nicht funktionierenden staatlichen Dienstleistungen.
Als Reaktion auf die Proteste hat Noch-Regierungschef Haider al-Abadi drei Millionen Dollar für den Süden versprochen, damit Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Gibt das Hoffnung?
Dass die Politiker Arbeitsplätze und Geld versprechen, haben die Leute schon zu oft im Wahlkampf gehört. Danach sind die Versprechungen meist schnell wieder vergessen. Abadi hat nicht nur Geld versprochen, sondern auch Eliteeinheiten in den Süden geschickt. Das stärkt gewiss nicht das Vertrauen.