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Proteste in Weissrussland Russland-Korrespondent: «Lukaschenkos Fans sind jetzt Komplizen»

In Minsk sind erneut zahlreiche Demonstranten festgenommen worden. Und auch international steht Lukaschenko unter massivem Druck. Die EU anerkennt seine Wahl nicht an und hat Sanktionen gegen Weissrussland beschlossen. Trotzdem sind sie noch da, die Menschen, die den langjährigen Machthaber unterstützen. SRF-Korrespondent David Nauer glaubt angesichts der Proteste jedoch, dass die Anhänger inzwischen in der Minderheit sind.

SRF News: Wer unterstützt den weissrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko – abgesehen von Wladimir Putin in Moskau?

David Nauer: Das sind, vereinfacht gesagt, Leute, die eher älter sind, die eher auf dem Land leben und die eher eine tiefe Bildung haben. Und viele dieser eisernen Lukaschenko-Fans sind zudem direkt von staatlichen Zuwendungen abhängig. Sie sind Rentner, Beamte oder Arbeiter in staatlich kontrollierten Firmen. Und viele sind eher konservativ. Das heisst, sie wollen nicht, dass sich etwas ändert. Aber auch bei der Elite des Landes gibt es noch solche, die ihn unterstützen. Die bürokratischen Eliten im oberen Staatsapparat sind zweifellos ein weiterer Pfeiler, auf den sich Lukaschenko stützen kann.

Diese Leute verdanken dem Regime nicht nur ihre Jobs. Sie haben sich zum Teil auch schuldig gemacht.

Das sind Leute, die dank ihm aufgestiegen sind, die zum Teil auch reich geworden sind. Dazu kommt der Sicherheitsapparat, die Polizei, der Geheimdienst, auch die Justiz. Diese Leute verdanken dem Regime nicht nur ihre Jobs. Sie haben sich zum Teil auch schuldig gemacht. Sie haben Menschenrechtsverletzungen begangen, und sie sind jetzt Komplizen von Lukaschenko. Klar, dass auch diese Leute das System verteidigen.

Haben die Unterstützer Lukaschenkos schlicht Angst vor dem, was nach einem allfälligen Sturz des Diktators kommen könnte?

Ja. Die einfachen Leute haben in der Regel wenig. Sie haben Angst, dass sie das wenige, das sie haben, auch noch verlieren, wenn Lukaschenko stürzt. Ganz unbegründet ist diese Furcht nicht. Denn wenn es zu grossen Umwälzungen kommt, wenn sein System zusammenbricht, dann sind es diese Leute, die sich am wenigsten in der Lage sind, sich neuen Gegebenheiten anzupassen. Und aus Sicht dieser Menschen ist es durchaus rational, sich für Lukaschenko einzusetzen. Die Profiteure des Systems haben sehr viel zu verlieren: Job, Geld, Status und manchmal vielleicht auch ihre Freiheit – etwa Polizisten, die Gefangene gefoltert haben.

Kann man sagen, wie zahlreich diese Unterstützer noch sind?

Das zu beziffern ist schwierig. Lukaschenko hat sicher noch einen gewissen Rückhalt. Es sind Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen, die hinter ihm stehen. Aber der Widerstand gegen sein System ist zahlenmässig sehr gross.

Lukaschenko ist gegen den Willen einer Mehrheit der Bürger an der Macht und will es bleiben.

Wie dieses Kräfteverhältnis aussieht, weiss man nicht. Das liegt auch daran, dass die Präsidentschaftswahl gefälscht wurde. Man kann vermuten, dass Lukaschenko keine Mehrheit hatte. Sonst hätte er sie nicht so dreist fälschen müssen, und müsste nun auch nicht derart brutal gegen die Opposition vorgehen. Man kann mit einer gewissen Sicherheit sagen, dass Lukaschenko gegen den Willen einer Mehrheit der Bürger an der Macht ist und bleiben will.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

SRF 4 News, 28.08.2020, 06:45 Uhr ; 

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