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Proteste von US-Sportlern Sportsoziologe: «Der Mythos vom unpolitischen Sport ist falsch»

Nach dem jüngsten Fall von Polizeigewalt gegen einen Schwarzen haben sich US-Sportler so deutlich wie selten geäussert. Die Basketball-Mannschaft Milwaukee Bucks hatte zunächst auf ein Playoff-Spiel verzichtet, daraufhin folgten weitere Spieler und Spielerinnen der Basketball-, Football- und Baseball-Ligen. Für den Sportsoziologen Ansgar Thiel hat das auch mit einem Umdenken der Verantwortlichen zu tun.

Prof. Dr. Ansgar Thiel

Direktor Institut für Sportwissenschaft an der Universität Tübingen

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Nach seiner Habilitation an der Universität Bielefeld wurde Ansgar Thiel 2001 Professor für Sportsoziologie an der Technischen Universität Chemnitz. Seit 2010 ist er Direktor des Instituts für Sportwissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen.

SRF News: Wie politisch darf Sport sein?

Ansgar Thiel: Sport ist politisch. Der Mythos, dass Sport unpolitisch ist, ist falsch. Auch jede Vergabe von Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften ist bereits politisch. Athletinnen und Athleten sind neben ihrer Tätigkeit auch Bürger. Und als Bürger haben sie das Recht, ihre politische Meinung zu äussern, solange sie nicht der Verfassung widerspricht.

Nach den Schüssen auf den Schwarzen Jacob Blake haben sich sehr viele von ihnen politisch geäussert, auffällig oft wurde auch zum Wählen bei der Präsidentschaftswahl aufgerufen. Finden Sie das in Ordnung?

Ja. Sportler stehen in der Öffentlichkeit und es wird teils sogar von ihnen erwartet, sich auf Twitter oder Instagram zu äussern – jedoch ist die Erwartung die, dass die Äusserungen unpolitisch sind. Aber das ergibt keinen Sinn. In den USA wird die Gewalt gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe schon lange diskutiert – zunehmend auch öffentlich. Viele der Athletinnen und Athleten sind selbst Betroffene, haben in der eigenen Biografie Diskriminierung oder Gewalt aufgrund ihrer Hautfarbe erlebt.

Einerseits also die Erwartung, das Privatleben öffentlich zu machen – andererseits die Erwartung, sie sollen sich nicht politisch äussern?

Ein Klub oder ein Verband kann den Sportlern einen Maulkorb geben. Heutzutage ist aber jeder Klub oder Verband, der das macht, schlecht beraten. Denn das Thema ist gesellschaftlich relevant, es ist schon lange überfällig, darüber öffentlich zu diskutieren.

Viele der Athletinnen und Athleten sind selbst Betroffene, haben in der eigenen Biografie Diskriminierung oder Gewalt aufgrund ihrer Hautfarbe erlebt.

Zudem ist ein Verbot, sich politisch zu äussern, ebenfalls eine politische Handlung. Im Grunde ist die Beschränkung der Meinungsäusserung auch eine latent rassistische Handlung. Man sagt den Athletinnen und Athleten: «Ihr seid dazu da, Sport zu machen – aber nicht Eure Meinung zu äussern. Ihr seid zur Unterhaltung da und sonst nichts.» Das akzeptieren Spieler heutzutage nicht mehr, sie haben ja auch eine gewisse Macht. Und diese zeigen sie nun auch.

Vor einiger Zeit sorgten Football-Spieler mit dem Niederknien während der Nationalhymne für grosse Aufregung – auch US-Präsident Donald Trump hat die Aktionen verurteilt. Damals haben auch Spieler ihren Job verloren. Warum ist das nun anders?

Die Proteste sind nun öffentlich und damit auch sichtbar. Als Colin Kaepernik niedergekniet war, wollte er damit ein Zeichen gegen Polizeigewalt gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe setzen. Und er war der Erste, der das als Athlet derart öffentlich gemacht hat.

Colin Kaepernick.
Legende: Colin Kaerpernick (Mitte), der damalige Quarterback des Football-Teams San Francisco 49ers, war einer der ersten, der mit Niederknien während der traditionellen Nationalhymne vor den Spielen auf Polizeigewalt gegen Schwarze aufmerksam gemacht hat. Er wurde später von seinem Klub entlassen. Keystone

Das hat eine Welle und grosse Diskussionen ausgelöst, ob sich ein Sportler in Bezug auf politische Ungerechtigkeiten äussern darf. Mit immer mehr Fällen, die an die Öffentlichkeit kamen, und der «Black-Lives-Matter»-Bewegung hat es auch ein Umdenken bei den Verantwortlichen gegeben. Viele Clubbesitzer haben sich zuvor davor gescheut, die Proteste zu unterstützen. Dies aus Angst, dass ihnen die Zuschauer weglaufen. Nun ist es zum Glück so, dass in der Öffentlichkeit so viel Unterstützung da ist, dass auch die Clubbesitzer diese Angst nicht mehr haben.

Das Gespräch führte Raphaël Günther.

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News Plus, 27.08.2020, 16 Uhr ; 

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