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Rassismus in den USA Rassistische Strassen, die US-Bürger trennen statt einen

Oakland diskutiert darüber, ob Schnellstrassen, die Schwarze von Weissen trennen, abgerissen werden sollten. Ein symbolischer Schritt.

Im Juni 1956 wurde der sogenannte National Interstate and Defence Highways Act verabschiedet – das bis dahin grösste Strassenbauprojekt in der amerikanischen Geschichte.

Mit damals unglaublichen 25 Milliarden Dollar sollten innerhalb von zehn Jahren mehr als 66'000 Kilometer an Schnellstrassen kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten gebaut werden. Ein Strassennetz, das die amerikanischen Metropolen miteinander verbinden sollte.

Durch Fördergelder für zurückkehrende Weltkriegsveteranen wurde aber eine Situation geschaffen, die vor allem die weisse Bevölkerung bevorzugte, wie Ben Crowther von der gemeinnützigen Organisation Congress for the New Urbanism, einer Stadtplanungsgruppe, erklärt.

Die Verläufe der Strassen wurden vor allem aus rassistischen Gründen gewählt.
Autor: Ben Crowther Congress for the New Urbanism

«Beim Bau der Highways wurden die Verläufe der Strassen vor allem aus rassistischen Gründen gewählt. Es wurde ein System etabliert, dass ein Strassenplaner sich den Weg auswählt, wo es den geringsten Widerstand zu befürchten gibt, sowohl aus finanzieller wie auch aus politischer Sicht. Und das traf gerade jene Quartiere, in denen die Häuser von People of Colour aufgrund des Redlining abgewertet worden waren», so Crowther.

Und das waren die Viertel der afroamerikanischen Bevölkerung. Die Viertel waren schlechter erschlossen, weil sie von den Behörden vernachlässigt wurden. In den USA spricht man hierbei von «Redlining».

Was ist «Redlining»?

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Der Begriff Redlining steht für eine imaginäre Stacheldrahtziehung in den US-Städten und Gemeinden, die über Jahrzehnte vor allem für Afroamerikaner zur gefühlten Realität wurde. Städte wurden in A-, B-, C- und D-Zonen unterteilt. Bestimmte Dienstleistungen wurden so Einwohnerinnen und Einwohnern in bestimmten Gebieten aufgrund von Rasse oder ethnischer Merkmale verweigert. Menschen in bestimmten Gebieten haben beispielsweise kein Darlehen für Eigentum erhalten. Zurück blieben viele Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner in oftmals unterversorgten Stadtvierteln.

Durch die kalifornische Grossstadt Oakland geht der Freeway 980. Und dieser 980er trennt das historisch afroamerikanische Viertel in West Oakland vom Stadtzentrum. Eine fünfspurige, tiefergelegte Schnellstrasse, die insgesamt 170 Meter breit ist. Nur vier Strassenblocks von hier entfernt steht das gewaltige Rathaus von Oakland.

Für Oaklands Bürgermeisterin Libby Schaaf ist der 980er deprimierend: «Er erinnert mich an einen Burggraben. Für mich sah das immer wie ein rassistischer Graben aus, der Downtown von der schwarzen Nachbarschaft von West Oakland schützte.»

Eine mehrspurige Strasse führt über eine tiefergelegte mehrspurige Strasse.
Legende: Oakland ist von mehreren Freeways durchschnitten, einer davon trennt das afroamerikanische Quartier West-Oakland von Downtown. imago images/imagebroker/Jeremy Graham

Doch eine breite Diskussion über die Zukunft dieser Freeways hat begonnen. «Der Beschleuniger dafür war George Floyd und die Black Lives Matter Bewegung», sagt Nate Miley. Er ist seit 2001 Supervisor für den kalifornischen Bezirk Alameda, in dem Oakland die grösste Stadt ist.

Für ihn ist klar, dass dieser Kampf um den Rückbau des 980ers eher Symbolpolitik ist. «Allein der Rückbau des Freeways würde nicht an die Wurzeln des Rassismus und der Ungerechtigkeit gehen. Klar ist für mich aber, dass dieser symbolische Akt zeigen würde, dass wir als Gesellschaft fähig sind, historische Fehler, die den People of Color angetan wurden, zu überwinden. Symbolisch, aber ein Schritt in die richtige Richtung.»

Die Geschichte des Freeway 980

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Der Freeway 980 war bereits in den 1960er-Jahren geplant. Nach vielen Verzögerungen wurde er 1985 fertiggestellt. Die eigentlichen Pläne für diese Stadtautobahn waren allerdings ganz andere. Das erklärt Stadtplaner Chris Sensening.

«Es gab damals die Pläne für ein ganz neues und überwachtes Einkaufszentrum in Downtown. Das Shoppingcenter versprach viele Jobs. Die Politik und auch etliche Anwohnergruppen, die ursprünglich dagegen gewesen waren, stimmten schliesslich für den Bau des Freeways. Es ist also eine Geschichte von Macht und Hoffnung, die am Ende dazu führte, dass der Freeway gebaut und West Oakland von Downtown abgespalten wurde.»

Das Einkaufszentrum wurde jedoch nie gebaut. «Die Idee für diese Shopping-Mall war sowieso etwas, was der Stadt nicht viel gebracht hätte. Die Rampen vom und zum Freeway sollten direkt in ein unterirdisches Parkhaus führen», so Sansening.

Von der tiefergelegten Autobahn direkt in den Shoppingtempel: Niemand hätte die Strassen der afroamerikanischen Bevölkerung in West Oakland auch nur sehen müssen. Das Einkaufszentrum wurde nie gebaut, der Freeway hingegen schon. Häuser wurden abgerissen oder versetzt, der Freeway wurde gebaut. Am Ende blieb eine gewaltige bauliche Narbe im Herzen der Stadt. Nicht nur Oakland hat solch eine Narbe im Stadtbild, auch New York, Minneapolis, Detroit, Miami oder New Orleans.

Im Infrastrukturplan der Regierung von Präsident Joe Biden sind Gelder für den Rückbau solcher historischer Fehler in der Stadtplanung vorgesehen. Ob es zur Umsetzung kommt, hängt sicherlich auch von zukünftigen Mehrheiten im Kongress und davon ab, wer im Weissen Haus sitzt. Davon, wie man auf die Geschichte des Landes blickt. In den tief gespaltenen Vereinigten Staaten ist die Antwort noch offen.

Echo der Zeit, 15.11.2022, 18 Uhr

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