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Rassistische Gewalt in den USA Die USA gedenken des Massakers an Afroamerikanern in Tulsa

Vor 100 Jahren wurden im Bundesstaat Oklahoma mutmasslich 300 Menschen umgebracht – weil sie schwarz waren.

Die Nacht auf den 1. Juni 1921 werde sie nie vergessen: Sie musste vor der Gewalt des weissen Mobs flüchten, sagte die 107-jährige Viola Fletcher vor einigen Tagen im US-Kongress. Sie ist eine der letzten Überlebenden des Massakers von Tulsa, Oklahoma. Für ihr Schicksal hat sich jahrzehntelang niemand interessiert.

Bis in die 1970er Jahre war es in der Stadt ein Tabu, offen über das Massaker zu sprechen. Der Historiker Scott Ellsworth, der selber in Tulsa aufgewachsen ist, erinnert sich, dass ältere Menschen in seiner Jugend bloss hinter vorgehaltener Hand darüber sprachen. Noch als er Jahre später recherchierte für sein erstes Buch über das Massaker, sei ihm oft die Tür vor der Nase zugeschlagen worden.

Obwohl viele offizielle Dokumente unauffindbar blieben, gelang es Ellsworth, dank einiger Augenzeugen von damals, zu rekonstruieren, was am 31. Mai 1921 geschah.

Weisser Mob lynchte Schwarzen

Dick Rowland, ein junger Schwarzer wird verhaftet. Vor dem Gerichtsgebäude versammelt sich darauf ein Mob bewaffneter Weisser. Sie fordern die Herausgabe Rowlands, um ihn zu lynchen.

Grausames Massaker in Tulsa vor 100 Jahren

Eine kleine Gruppe Schwarzer kommt spät abends ebenfalls zum Gefängnis und will Rowland beschützen. Es kommt zu einem Handgemenge, es löst sich ein Schuss. Und darauf bricht die Hölle los: Tausende bewaffnete Weisse greifen im Morgengrauen das schwarze Geschäftsviertel Greenwood an.

Wahllos bringt der weisse Mob Schwarze um, plündert deren Häuser und brennt sie nieder. An der Gewaltorgie der Weissen beteiligen sich auch Polizisten und Soldaten der Nationalgarde.

Viola Fletcher, damals sieben Jahre alt, kann noch rechtzeitig aus der Stadt flüchten. Die Erinnerungen verfolgen sie bis heute: Die Leichen in den Strassen, der Rauch, die Flammen, das Flugzeug, das im Tiefflug Dynamit auf die Häuser abwirft, die Schüsse und Schreie – Fletcher kann dies nicht vergessen.

Greenwood war zuvor eines der blühendsten und wirtschaftlich erfolgreichsten Schwarzenviertel der USA und wurde deshalb auch Black Wallstreet genannt. Nach der Gewaltwelle ist Greenwood vollständig zerstört, sagt Historiker Ellsworth, 10'000 Schwarze sind obdachlos.

Offizielle Dokumente zerstört

Vermutlich starben über 300 Menschen. Aber genau wisse man das bis heute nicht. Denn nach dem Massaker habe die Stadt Tulsa das Geschehen systematisch vertuscht.

Offizielle Dokumente wurden zerstört, Artikel aus Zeitungsarchiven gelöscht und wer unangenehme Fragen stellte, wurde bis in die 1970er Jahre gar mit dem Tod bedroht. Entschädigungen, selbst von Versicherungen, haben die schwarzen Opfer nie erhalten. Sie haben Greenwood zwar wieder aufgebaut, aber viele Bewohner litten ein Leben lang unter den Folgen des Massakers.

Viola Fletcher musste nach der 4. Klasse die Schule verlassen, um Geld als Hausangestellte zu verdienen.

Rassismus wieder ein Thema

Heute noch ist in Tulsa die durchschnittliche Lebenserwartung von Schwarzen 11 Jahre tiefer als die von Weissen. Dies sei – zumindest teilweise – eine Spätfolge des wirtschaftlichen Schocks, von dem sich die schwarze Gemeinde nie vollständig erholt habe, sagt der Historiker Ellsworth.

Seit der Mord an George Floyd eine nationale Debatte über Rassismus entfacht hat, ist aber zumindest die Mauer des Vergessens eingestürzt. An den Gedenkfeierlichkeiten zum hundertsten Jahrestag in Tulsa nimmt denn auch US-Präsident Joe Biden teil.

Echo der Zeit, 31.05.2021, 18:00 Uhr

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