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Rechtsstaatsmechanismus der EU Die EU-Kommission macht ernst

Die EU-Kommission zeigt Zähne gegenüber Ungarn: Zahlungen in der Höhe von mehr als 13 Milliarden Euro will sie zurückbehalten. Die rechtsstaatlichen Reformen und die Massnahmen zur Korruptionsbekämpfung, die die Regierung von Viktor Orban angekündigt hat, gehen ihr nicht weit genug.

Konkret geht es um rund 7.5 Milliarden Euro aus dem EU-Budget und 5.8 Milliarden Euro an Corona-Hilfen. Also um sehr viel Geld, das Ungarn sehr gut gebrauchen könnte. Lange ging man in Brüssel davon aus, dass die Kommission die Freigabe der Gelder empfiehlt, zu gross war die Furcht davor, dass Ungarn in aussen- und steuerpolitischen Fragen sein Veto einlegen könnte.

Nun hat die Kommission diese Furcht offenbar abgelegt. Dazu beigetragen haben dürfte auch der Druck des Europäischen Parlaments. Dieses hatte in den vergangenen Wochen wiederholt festgehalten, dass die vorgeschlagenen ungarischen Reformen aus seiner Sicht nicht ausreichend seien und die Auszahlung der EU-Gelder deshalb eingefroren werden solle.

Entscheidende Wochen stehen an

Konsequenzen hat die Empfehlung der Kommission noch nicht. Es ist weiterhin möglich, dass die Gelder letztendlich freigegeben werden. Die Kommission hat den Ball – wie im Rechtsstaatsmechanismus vorgesehen – weiter an die EU-Mitgliedstaaten gespielt. Jetzt müssen diese Farbe bekennen: Sind sie bereit, für den Schutz rechtsstaatlicher Prinzipien den Frieden im Rat der Mitgliedstaaten zu riskieren und allenfalls auch ein ungarisches Veto in wichtigen aussen- oder steuerpolitischen Fragen in Kauf zu nehmen?

Die Beantwortung dieser Frage könnte für die Europäischen Union von wegweisender Bedeutung sein. Denn es ist das erste Mal, dass der sogenannte Rechtsstaatsmechanismus zur Anwendung kommt.

Wenn die EU bereit ist, im Falle Ungarns hart zu bleiben, könnte dies einen Präzedenzfall für ähnlich gelagerte Fälle schaffen. Es sind wegweisende Tage und Wochen in Brüssel. Nicht nur für Ungarn, sondern auch für andere EU-Mitgliedstaaten, die es mit rechtsstaatlichen Prinzipien und Korruptionsbekämpfung bisher nicht so genau nahmen.

Andreas Reich

EU-Korrespondent

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Andreas Reich ist seit November 2022 TV-Korrespondent von SRF in Brüssel. Zuvor arbeitete der studierte Jurist als Auslandredaktor und Onlineproduzent im SRF-Newsroom in Zürich und berichtete als freier Reporter aus Südosteuropa.

Tagesschau, 30.11.2022, 12:45 Uhr

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