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Rede zur Lage der Nation Joe Bidens energisches Bewerbungsschreiben

Joe Biden hat sie alle aufgezählt in seiner Rede zur Lage der Nation: die Erfolge, die er vorzuweisen hat. Es war eine lange Liste, beginnend mit den zwölf Millionen Jobs, die in seiner Amtszeit bisher geschaffen wurden. Mit der tiefsten Arbeitslosenquote seit 50 Jahren. Mit der Rückkehr weitgehender Normalität nach langen Covid-Jahren und einer turbulenten und fast gescheiterten Machtübergabe nach den letzten Präsidentschaftswahlen. Für Biden lassen sich die USA wieder in einem Wort beschreiben: «Möglichkeiten». 

Konfrontation vor Millionenpublikum 

Der US-Präsident hatte das politische Glück, dass viele seiner Rückschläge und ärgsten Fehler in sein erstes Amtsjahr fielen und viele seiner Erfolge ins zweite. So konnte Biden seine Rolle als Brückenbauer selbst über die tiefsten Gräben der Parteien hinweg betonen.

Und es war ein Höhepunkt seiner Rede, als er die republikanische Gegenseite live und vor Millionen Augen und Ohren der fernsehenden Nation dazu brachte, zuzusichern, dass Sozialversicherung und medizinische Fürsorge nicht als Faustpfand für die Anhebung des Schuldendeckels eingesetzt werden sollen.  

Wenig Anerkennung 

Doch Biden erhält dafür nicht die Anerkennung, die er nach eigenem Dafürhalten verdient. Mehr noch, Bidens Zustimmungsraten sind nach wie vor historisch tief. Zwei Drittel der Amerikanerinnen und Amerikaner geben in Umfragen an, Biden habe in seinen ersten zwei Amtsjahren wenig bis kaum etwas erreicht.

Das ist faktisch schlicht falsch. Aber Fakten zählen wenig in der heutigen Zeit. Vielmehr zählen Eindrücke. Und so manche in den USA stellen sich die Frage, ob es weise sei, wenn der heute 80-jährige Biden in zwei Jahren für eine zweite Amtszeit kandidiert.  

Die geheimen Dokumente 

Ein ehemaliger Berater dreier (erfolgloser) demokratischer Kandidaturen sagte es jüngst so: «Erwarte ich, dass Biden nochmals kandidiert? Absolut, kein Zweifel. Aber halte ich es für ratsam? Das ist eine sehr viel kompliziertere Frage.» Denn spätestens, seit in Bidens Privathaus genauso wie zuvor in Donald Trumps Residenz als geheim klassifizierte Dokumente gefunden wurden, die dort nichts zu suchen haben, ist Bidens grösster Verkaufsschlager nicht mehr wirksam: Nämlich, dass bei ihm alles anders sei.  

Und so betonte Biden in seiner «State of the Union» immer wieder eines: Dass er noch lange nicht am Ziel sei. «Let’s finish this job», rief er mehrmals in den Saal, vor dem er eine Vision für ein Amerika wie vor Ronald Reagans Zeiten auslegte. Und es ist klar, wer in Bidens Augen die Arbeit erledigen soll. Es war seine erste, energische Bewerbungsrede für die erneute Präsidentschaftskandidatur.

Pascal Weber

USA-Korrespondent

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Pascal Weber arbeitet seit 1999 für SRF. Als Redaktor und Produzent war er zunächst in der Sportredaktion tätig, danach bei «10vor10». Von 2010 bis 2021 war er als Korrespondent im Nahen Osten. Er lebte zuerst in Tel Aviv, dann lange Jahre in Kairo und Beirut. Nun arbeitet er für SRF in Washington.

SRF 4 News, 8.2.2023, 6 Uhr

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