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Junker spricht zu den Parlamentariern, die im grossen Halbrund um ihn platziert sind.
Legende: Juncker richtet sich mit seiner Grundsatzrede ans EU-Parlament. Keystone

Rede zur Zukunft der EU Bei Grundsatzfragen bleibt Juncker die Antwort schuldig

Der Kommissionspräsident sieht Rückenwind für die EU. Doch am Ende ist es nicht er, der die Segel richtet.

So frisch, fröhlich und konzentriert ist Jean-Claude Juncker schon lange nicht mehr vor die Öffentlichkeit getreten. Sein – zumindest äusserlich sichtbarer – Gesundheitszustand passt zum Zustand der EU, wie er ihn heute selbstbewusst beschrieben hat: «Der Wind ist zurück in Europas Segeln.»

Der Wind ist zurück in Europas Segeln.
Autor: Jean-Claude Juncker EU-Kommissionspräsident

Drei Argumente kann Juncker ins Feld führen: Die Union steht weiter vor gigantischen Herausforderungen, aber sie wirkt nicht mehr so hilflos wie noch im vergangenen Jahr. Es ist ihr gelungen, die Zahl der Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten dramatisch zu reduzieren. Und gegenüber Grossbritannien demonstriert sie Geschlossenheit in den Brexit-Verhandlungen.

Zweitens geht es der EU wirtschaftlich so gut wie noch nie seit der grossen Weltwirtschaftskrise. Die EU wächst rascher als die USA, die Arbeitslosigkeit sinkt. Drittens und wohl am wichtigsten: Seit dem Brexit-Votum wurde in vielen EU-Staaten gewählt, und überall haben sich die Pro-EU-Kräfte durchgesetzt.

Sebastian Ramspeck

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Sebastian Ramspeck ist SRF-Korrespondent in Brüssel. Zuvor arbeitete er als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

Doch all dies darf nicht über die Grundschwierigkeit der EU hinwegtäuschen: Sie ist weder bloss ein loser Staatenbund noch ein richtiger Bundesstaat. Sie ist ein eigenartiges Sowohl-als-auch-Konstrukt, und alle Krisen der letzten Jahre haben auch damit zu tun.

Visionäre Antworten auf Grundfragen fehlen

Juncker hat heute viele Vorschläge präsentiert, mit denen die EU seiner Ansicht nach verbessert werden könnte. Er hat drei Prinzipien betont, mit denen er jeden in der Union – auch die EU-skeptischen Osteuropäer – irgendwie abholen kann: Freiheit, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit.

Doch auf die Grundschwierigkeit hat Juncker heute keine visionären Antworten geliefert. Ganz einfach auch deshalb, weil das Schicksal der EU nicht in den Händen des Kommissionspräsidenten liegt. In den ganz grossen Fragen sind es am Ende immer die Regierungen der Mitgliedsstaaten, die sagen, wo es lang geht.

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