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Regieren im Rentenalter Vom alten weisen Mann zum alten weissen Mann

US-Präsident Joe Biden fällt über einen Sandsack. Und befeuert damit die Debatte, ob das Alter in der Politik heute noch Platz hat.

Jung, charismatisch und eloquent: Von Barack Obama über Jacinda Ardern bis zu Sanna Marin hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine neue Generation die Politik aufgemischt. Die Zeiten, da sich grau melierte Männer in grauen Anzügen über graue Aktenordner beugten, schienen vorbei.

Genauso wie die Zeiten, da Alter für Weisheit stand und man die Regierungsgeschäfte vertrauensvoll in erfahrene Hände legte. Der alte, weise Mann wurde zum alten weissen Mann – zu einem Auslaufmodell.

Der ewige Biden

Der mächtigste Mann der Welt allerdings widersetzt sich dem Trend: Im fortgeschrittenen Alter von 80 Jahren amtet Joe Biden als amerikanischer Präsident. Das bringt Biden auch Kritik ein. So blockiere er mit seiner erneuten Kandidatur den Posten für jüngere Führungsfiguren seiner demokratischen Partei.

Bidens Sturz im US-Bundesstaat Coloroda
Legende: Bei der Abschlussfeier der United States Air Force Academy stürzte US-Präsident Joe Biden am 1. Juni über einen Sandsack auf dem Podium. Keystone/AP/Andrew Harnik

Ist die Kritik an «Sesselkleber Biden» und generell gegenüber älteren Politikern berechtigt? Pasqualina Perrig-Chiello, Entwicklungspsychologin und Expertin für Altersforschung, sieht hier auch problematische Stereotype am Werk: «In unserer Gesellschaft gibt es eine sehr starke, negative Voreingenommenheit gegenüber dem Alter.»

«Ageism» auf dem Vormarsch

Der «Ageism» – also die Altersdiskriminierung – in der Gesellschaft nehme sogar zu, lautet die Diagnose der Forscherin. So werde eine Fülle von negativ behafteten Attributen mit dem Alter assoziiert: «Alte Menschen gelten demnach als verschlossen, altmodisch und antiquiert – und sie verfügen nicht mehr über die nötige kognitive Leistungsfähigkeit.»

Bidens Alter gibt schon länger zu reden. Auch, weil so manch öffentlicher Auftritt nicht ganz so dynamisch war. Erst Anfang Juni befeuerte ein präsidialer Fehltritt die Debatte: Biden fiel auf einem Podium über einen Sandsack und musste von der Security wieder auf die Beine gebracht werden.

«Alt, gebrechlich und unwählbar?», fragte etwa der deutsche «Stern». Bidens Herausforderer Donald Trump verbat sich bei einem öffentlichen Auftritt Witze über die psychische und physische Verfassung Bidens. Die Worte waren allerdings vergiftet: Der Zustand seines Kontrahenten sei zu ernst, um darüber zu scherzen.

Biden im Dezember 2022 bei einem Sturz vom Fahrrad
Legende: Biden stürzte auch schon vor laufenden Kameras vom Fahrrad, verwechselte seine Enkelin mit seinem verstorbenen Sohn oder suchte vergebens den Bühnenausgang. Reuters/Elizabeth Frantz

Nichtsdestotrotz: In harten Verhandlungen mit den Republikanern erzielt Biden Erfolge. Eben erst hat er nach zähem Ringen einen Schuldendeal mit dem politischen Gegner geschmiedet. Er zeigt damit: Sein hohes Alter ist offenbar kein Nachteil.

Die Altersforscherin sieht sogar Vorteile, die das Alter mit sich bringen kann. Denn bei älteren Menschen würden sich Lebenserfahrung und Gelassenheit kumulieren. «Sie werden weitsichtiger und geduldiger. Sie urteilen häufig nicht mehr so schnell aus dem Blauen heraus, wie man es vielleicht in jüngeren Jahren macht.»

Schützt Alter doch vor Torheit?

Gerade im politischen Kontext kann Erfahrung Gold wert sein. Denn sie bedeutet, dass man Krisensituationen gemeistert hat. Und sie kann dabei helfen, in unsicheren Zeiten umsichtig zu agieren. «Wenn es bei Entscheidungen schnell gehen muss, kann man aus dem Vollen schöpfen», sagt Perrig-Chiello.

Die Tücken des Politisierens in hohem Alter

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Keystone/EPA/Jim Lo Scalzo
Legende: Keystone/EPA/Jim Lo Scalzo

Das Politisieren im Alter bringt auch Herausforderungen mit sich. Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello nennt hier etwa die Kehrseite eines (allzu) reichen Erfahrungsschatzes: nämlich die Gefahr von Beratungsresistenz. «Die Dinge so zu machen, wie man es schon immer getan hat, kann innovativen Lösungen im Weg stehen.»

Negative Anteile des Älterwerdens lassen sich für die Altersforscherin also nicht von der Hand weisen. «Dazu gehören auch körperliche Veränderungen, die gesundheitliche Probleme wahrscheinlicher machen.» Von der Fitness lasse sich aber nicht auf die kognitiven Fähigkeiten schliessen. «Im hohen Alter kompensieren die meisten Menschen auf kognitiver und emotionaler Ebene sehr viele körperliche Hindernisse.»

Aus der Forschung gibt es auch eine beruhigende Nachricht an die Welt: «Die Aggressionshormone – bei den Männern das Testosteron – nehmen mit zunehmendem Alter ab. Reaktive, aggressive Reaktionen sind weniger verbreitet.» Bleibt zu hoffen, dass der nächste «alte, weisse Mann» im Oval Office zum lebenden Beweis dieser Erkenntnis wird.

SRF 4 News, 27.06.2023, 06:50 Uhr ; 

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