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Repression von Oppositionellen Belarus als Vorbild Russlands?

Die Repression in Belarus gilt gemeinhin als grausamer als diejenige in Russland. Aber auch Wladimir Putin zieht in seinem Land konstant die Schrauben an. Ein Politologe erklärt, wie die Sicherheitskräfte in den beiden Ländern vorgehen.

In Belarus tritt diese Woche ein Gesetz nach sowjetischem Vorbild in Kraft. Das Regime von Alexander Lukaschenko darf nun Oppositionellen im Exil die Staatsbürgerschaft entziehen und sie so staatenlos machen.

Für den belarussischen Politologen Artjom Schraibman, der heute selbst im Exil lebt, ist das Gesetz ein Versuch, die Repression innerhalb von Belarus über die Landesgrenzen hinaus auszuweiten. «So will man sagen: ‹Diese Leute sind nicht mehr Teil unserer Gesellschaft, sie sind Ausländer, und sie spielen keine Rolle mehr in der belarussischen Politik, in der belarussischen Zukunft›», sagt er.

Ein Mann in einem lila Hemd sitzt an einem Laptop.
Legende: Laut dem belarussischen Politologen Artjom Schraibman tut Lukaschenko alles für seinen Machterhalt. SRF

Das Gesetz zeugt von der sowjetischen Herrschaftsmentalität von Lukaschenko. «Lukaschenko ist von der Sowjetunion geprägt, er kennt solche Gesetze und findet, sie wurden zu Unrecht abgeschafft», sagt Schraibman. «Seit 2020 wurden viele sowjetische Praktiken wieder eingeführt.»

In der Tat hat die Welle der Repression in Belarus in den vergangenen drei Jahren kaum nachgelassen. Die Behörden gehen nach wie vor systematisch gegen alle Beteiligten der damaligen Massenproteste vor, die sie nachträglich identifizieren können. In belarussischen Gefängnissen sind Folter und Erniedrigung zur Norm geworden. 

In Belarus wird die Person in der Regel sofort verhaftet. Die Repression in Russland ist punktueller.
Autor: Artjom Schraibman Belarussischer Politologe

Angesichts der Lage im Nachbarland Russland, wo die Repression seit Beginn des Grossangriffs auf die Ukraine zunehmend eskaliert, ist in Belarus ein Witz des Minsker Komikers Slawa Kommissarenko zum Kulturgut geworden: «Die Russen und die Belarussen schauen beide dieselbe Serie, aber ihr seid noch bei der dritten Staffel und wir schon bei der fünften. Und manchmal blicken wir zu euch rüber und sagen: ‹Oh, bei euch wird es bald interessant!›»

Zwei vermummte Polizisten führen einen Demonstrant ab. Sie tragen beide Schlagstöcke.
Legende: Bei den Protesten nach der Präsidentschaftswahl im November 2020 kam es zu zahlreichen Festnahmen. Keystone/AP

Die Repression in Belarus gilt gemeinhin als etwas grausamer als diejenige in Russland. «Wenn die russischen Behörden jemandem Probleme bereiten wollen, erklären sie ihn erst mal für einen ausländischen Agenten», sagt Politologe Schraibman. «In Belarus wird die Person in der Regel sofort verhaftet. Die Repression in Russland ist weniger umfassend, sie ist abgestufter, punktueller.»

Ideologische Unterschiede

Doch ist die belarussische Repression wegen ihres sowjetischen Einschlags auch altmodischer, primitiver? Schraibman verneint. «Was Technologie angeht, sind die belarussischen Sicherheitskräfte ziemlich fortschrittlich», sagt er. «Sie verwenden die neueste Überwachungstechnologie, sie haben digitale Datenbanken zu ihren Gegnern. Wir sehen also eine Art Symbiose moderner und anachronistischer Repressionsmethoden.»

Stimmt also der Witz über die Serie, der besagt, dass das Grauen in Belarus unvermeidlich auch Russland erreicht? «Letztlich regieren Putin und Lukaschenko unterschiedliche Gesellschaften mit unterschiedlichen politischen Systemen», sagt Schraibman. Ideologisch gebe es auch Abweichungen: Anders als Lukaschenko kritisiere Putin die Sowjetunion, er orientiere sich eher am russisch-nationalen Imperialismus.

Echo der Zeit, 12.07.2023, 18:00 Uhr

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