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Ringen um neue EU-Führung «Irgendwann wird man von einer Krise sprechen»

Noch steht nicht fest, wer neuer EU-Kommissionspräsident wird. Auch Einzelgespräche von Ratspräsident Donald Tusk brachten keine Lösung. SRF-Korrespondent Oliver Washington verfolgt die Ereignisse. Wann ein Resultat bekannt wird, sei noch völlig offen.

Oliver Washington

Bundeshausredaktor

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Oliver Washington ist seit 2003 bei SRF. Ab 2007 war er Mitglied der Inland-Redaktion, von 2014 bis 2019 berichtete er als EU-Korrespondent aus Brüssel. Nun ist er in der Bundeshausredaktion von SRF tätig. Washington hat Soziologie, Geografie und Wirtschaftsgeschichte studiert.

SRF News: Warum wissen wir noch immer nicht, wer neuer Präsident der EU-Kommission wird?

Oliver Washington: Banal gesagt, weil der Mann, um den sich seit Beginn des Gipfels gestern Abend alles dreht, keine Mehrheit hat. Konkret dreht sich alles um Frans Timmermans, den Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten. Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates, hat vorgeschlagen, dass Timmermans neuer Kommissionspräsident werden soll, während die Liberalen und die Volkspartei die anderen zu vergebenen Posten unter sich aufteilen sollen.

Timmermans ist in der Kommission Juncker für die Rechtsstaatlichkeit verantwortlich und hat deshalb viele Gegner in Polen, Ungarn und der tschechischen Republik.

Wer lehnt den Sozialdemokraten Timmermans ab?

Es gibt zwei Hauptgruppen. Da sind zum einen die drei Visegrad-Staaten, Polen, Ungarn und die Tschechische Republik. Sie lehnen Timmermans ab, weil sie sagen, dass Timmermans die EU nicht eine, sondern spalte. Dazu muss man wissen, dass Timmermans in der Kommission Juncker für die Rechtsstaatlichkeit verantwortlich ist und deshalb viele Gegner in diesen Ländern hat.

Wenn sie das Spitzenkandidaten-Prinzip überdenken, dürfte es nochmals lange dauern, bis etwas entschieden ist.

Dann die zweite wichtige Gruppe: Es gibt massiven Widerstand von einzelnen Regierungschefs, die zur Volkspartei gehören. Zu nennen sind die Regierungschefs aus Kroatien, Lettland, Rumänien oder auch Irland. Sie fordern das Kommissionspräsidium für die Volkspartei, für die stärkste Kraft im Parlament. Dieser Widerstand zeigt auch die Schwäche der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, sie unterstützte zusammen mit dem französischen Präsidenten Macron den Vorschlag von Tusk. Aber offensichtlich hat sie ihre eigene Partei, die Volkspartei, nicht mehr im Griff.

Was passiert, wenn sich die EU nicht einigen kann?

Dann kommt es zu einem weiteren Sondergipfel. Es stellt sich allerdings die Frage, wie diese tiefe Spaltung, die wir heute erleben, dann überwunden werden kann. Warum soll Timmermans oder die anderen Kandidaten und Kandidatinnen, die auch diskutiert worden sind, dann eine Mehrheit erzielen, wenn sie es heute nicht schafften? Es gibt keine Mehrheit für niemanden und irgendwann wird man von einer Krise sprechen.

Das Gespräch führte Joël Hafner.

Gipfel auf Dienstag vertagt

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Der EU-Gipfel zur Nachfolge von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist ohne Ergebnis unterbrochen worden. Das Treffen werde am Dienstag (11.00 Uhr) fortgesetzt, teilte ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk via Twitter mit.

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