Während die italienische Premierministerin Giorgia Meloni auf der grossen Weltbühne aktiv ist und die Leader der grossen Nationen trifft, zum Beispiel am Nato-Gipfel diese Woche, kriselt es zu Hause in ihrer Rechtsregierung. Melonis Tourismusministerin sieht sich ernsthaften Vorwürfen wegen betrügerischen Konkurses und Bilanzfälschung ausgesetzt. Und gegen den Sohn des Senatspräsidenten kursieren Vergewaltigungsvorwürfe im Zusammenhang mit K.-o.-Tropfen.
Die aktuellen Skandale und Krisen im knapp 40 Grad heissen Rom gehören zur normalen politischen Betriebstemperatur Italiens. Was aber auffällt: Meloni schweigt zur Krise zu Hause, zeigt so eine gewisse Schwäche; und ihr wichtigster Partner Matteo Salvini von der Lega rührt keinen Finger für die Regierungschefin.
Defekt in der politischen DNA
Unter der Oberfläche dieses politischen Sommertheaters sorgt ein grundsätzlicher Defekt in der politischen DNA dieser Regierung für Spannungen. «Die Fratelli d'Italia und die Lega fischen im selben Wählerteich», sagt Politologe Piero Graglia von der Universität Milano Statale.
Im Moment liegen die Fratelli d'Italia in der Wählergunst weit vor der Lega. Das liege vor allem an der Person von Meloni, die bei der Wählerschaft gut ankomme. In jüngster Zeit kolportierten italienische Zeitungen das Gerücht, Meloni habe Salvini sogar mit Neuwahlen gedroht. Nicht zuletzt, weil er sie bei einer umstrittenen Justizreform nicht unterstützt.
Dieses Szenario ist aber trotz aller Spannungen wenig wahrscheinlich. Denn Meloni braucht zurzeit keine Neuwahlen und Salvini wiederum will keine Neuwahlen, er ist im Moment nicht stark genug. «Neuwahlen sind nicht im Interesse beider Streithähne», sagt Graglia.
Den Realitäten hat sich die Regierung Meloni auch insofern gebeugt, als sie beschlossen hat, bis 2025 rund 450'000 ausländischen Einwanderern eine Arbeitserlaubnis zu erteilen. Das widerspricht der Ideologie ihrer Partei und widerspiegelt gleichzeitig die Realitäten des Fachkräftemangels in Italien.
Pragmatikerin oder Postfaschistin?
Am Ende des Tages stellt sich die Frage: Ist Meloni im Grunde eine Pragmatikerin, die aus wahltaktischen Gründen auch postfaschistische Wähler bei der Stange hält, oder ist sie tatsächlich eine Postfaschistin, die sich den politischen Realitäten anpasst?
Graglia hält Meloni sogar für eine Neofaschistin, die – wie viele in Italien – Mussolini verteidigt. Mit den Argumenten: Mussolini sei kein Diktator gewesen, von Hitler zum Krieg verführt worden und habe auch viel Gutes bewirkt.
Meloni schielt zur politischen Mitte
In der Alltagspolitik ist Meloni aber in die Mitte gerückt. Und das mit Erfolg. Pier Silvio Berlusconi, der einzige von Gewicht in der dritten Regierungspartei, der Forza Italia des verstorbenen Silvio Berlusconi, sagte unlängst öffentlich, er gedenke nicht in die Politik einzutreten. Denn Meloni mache ihre Sache gut. Das heisst, Meloni hat gute Chancen, die Anhänger der Forza Italia auf ihre Seite zu ziehen.
Und auch für die kommenden Europawahlen 2024 versucht sie aus der rechten Ecke herauszukommen und ihre Fratelli als konservative Partei zu präsentieren, die zwar nicht zur Fraktion der Europäischen Volkspartei gehört, aber mit dieser zusammenarbeiten könnte. Salvinis Lega politisiert dagegen ganz rechts aussen in einer Fraktion mit der Partei Rassemblement National und der AfD.