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Rituale in einer Monarchie «Mit dem Tod der Queen erfolgt ein tiefer Bruch»

Die Symbolik der Beisetzung von Queen Elizabeth II. geht weit über die eines üblichen Begräbnisses eines Staatsoberhauptes hinaus, sagt Barbara Stollberg-Rilinger. Sie hat die Funktion und Bedeutung von Ritualen untersucht. Die Historikerin erklärt, wieso der Tod der Queen zu einem tiefen Bruch führt.

Barbara Stollberg-Rilinger

Historikerin

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Stollberg-Rilinger hat die Funktion und Bedeutung von Ritualen untersucht. Seit September 2018 ist sie Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin.

SRF News: Queen Elizabeth II. war 70 Jahre im Amt. Die Institution der Monarchie wurde fast schon mit ihrer Person identifiziert. Welche Bedeutung hat ihr Tod in Sachen Rituale?

Barbara Stollberg-Rilinger: Die Menschen haben sich daran gewöhnt, die britische Monarchie mit dieser Person zu identifizieren. Das bedeutet, dass mit ihrem Tod ein tiefer Bruch erfolgt. Auch, weil der Nachfolger bei weitem nicht diese Ausstrahlung und diese Beliebtheit hat und auch diese Beständigkeit nicht symbolisiert. Aber Rituale sind genau dazu da, solche Brüche zu überbrücken und zu demonstrieren, dass eben nicht alles abbricht.

Worin besteht ein Ritual?

Ein Ritual besteht darin, dass es immer wieder auf die scheinbar gleiche Art und Weise durchgeführt wird. Deswegen ist auch alles so ganz genau vorgeschrieben. Es muss alles genau so sein, wie es beim letzten und vorletzten Mal war. Auch wenn sich in Wirklichkeit immer wieder einiges ändert, sieht es doch so aus, als sei das wie zu unvordenklichen Zeiten. Das schafft den Eindruck einer unglaublichen Stabilität, Beständigkeit, Dauer, Tradition.

Rituale schaffen den Eindruck einer unglaublichen Stabilität, Beständigkeit, Dauer, Tradition.
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Die Hoffnung ist, dass man damit den Tod dieser individuellen Person überbrückt und diese Traditionslinie sich auf den Nachfolger überträgt. In diesem Fall hat sich aber sehr viel geändert. Es kann sein, dass das nicht mehr funktioniert.

Vieles wirkt auch ein wenig verstaubt, wie aus der Zeit gefallen. Laufen denn Rituale auch Gefahr, dass sie vielleicht nicht mehr verstanden werden?

Das Gute an Ritualen ist, dass man alles Mögliche hineininterpretieren kann. Der normale Fernsehzuschauer weiss nicht, was die einzelnen Details bedeuten. Obschon alle Details irgendeine historische Referenz haben. Das muss man aber gar nicht wissen, um an diesem emotionalen Effekt teilzuhaben. Es reicht der Eindruck, dass es uralt ist. Und es zieht eine unglaubliche Menge an Menschen an und fasziniert sie. Dieser Effekt reicht, um Verlässlichkeit und Tradition zu signalisieren.

Können Rituale auch misslingen?

Ja, absolut. Sie können misslingen, wenn die Bevölkerung sich dem verweigert, wenn es keine Zuschauer gibt. Oder wenn man sich über sie lustig macht, während sie vollzogen werden, wenn es offensichtliche Zeichen der Missachtung oder des Protests gibt. Und das kann sowohl in monarchischen als auch in demokratischen Ritualen der Fall sein. In Amerika haben wir das zuletzt am 6. Januar 2021 erleben können.

Rituale bei der Machtübergabe in Demokratien

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Auch in Demokratien spielen Rituale eine Rolle, wenn auch in anderer Weise als bei Monarchien. Dort erfolgt die Herrschaftswiedergabe in der Regel durch Geburt und Tod. In Demokratien hingegen wird ein Amtswechsel charakteristischerweise regelmässig aufgrund eines demokratischen Verfahrens vollzogen.

Trotzdem sei auch in Demokratien der Amtsantritt mit dem Amtseid eine wichtige Zeremonie und werde in vielen Ländern mit sehr grossem Aufwand begangen, sagt die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger. «In der Schweiz und in Deutschland sicher weniger, aber zum Beispiel in den USA», sagt sie und verweist auf die aufwendige Inauguration des neuen Präsidenten. «Das ist unter Umständen auch sehr konfliktträchtig, wenn tiefe Gräben in der Bevölkerung bestehen – wie das beim Amtsantritt von Donald Trump und zuletzt von Joe Biden der Fall war.»

Stollberg-Rilinger glaubt, dass politische Rituale vor allem dazu diesen, die Gräben in der Bevölkerung zu überbrücken: «Wie es jetzt in England der Fall ist. Menschen, die den Tories als auch Labour angehören, trauern gleichermassen. So werden die tiefen Gräben, die sich durch die Bevölkerung ziehen, vorübergehend zugeschüttet. Genau das war bei der letzten amerikanischen Amtsübergabe nicht der Fall.»

 

Echo der Zeit, 19.09.2022, 18 Uhr ; 

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