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Rückeroberung Al‑Shabaab rückt vor – Mogadischu droht die Einkreisung

Die Hoffnung auf Stabilität in Somalia schien 2022 greifbar. Doch inzwischen kontrolliert Al-Shabaab wieder weite Landstriche. Die Miliz gewinnt an Einfluss – auch politisch. Die Hauptstadt Mogadischu ist zunehmend bedroht.

Checkpoints, bewaffnete Soldaten, Fahrzeugkontrollen – das ist Alltag in Mogadischu. Die islamistische Miliz Al‑Shabab verübt regelmässig Anschläge in der Hauptstadt, lebt dort im Untergrund.

Doch jenseits der Stadtgrenzen agiert sie offen: Sie kontrolliert weite Teile Zentral- und Südsomalias – auch Orte, die einst von Regierungstruppen zurückerobert wurden.

Blick auf die Hafenstadt Mogadischu.
Legende: Blick auf die Hafenstadt Mogadischu. SRF/Sarah FLUCK

«Wir sind wieder da, wo wir 2017 waren», sagt Sicherheitsanalystin Samira Gaid in Mogadischu. Al‑Shabaab habe fast alle Gebiete rund um die Hauptstadt zurückerobert, die zwischenzeitlich unter Kontrolle der Regierung standen. Besonders seit dem Ramadan im März sei die Miliz erneut in die Offensive gegangen – mit dem Ziel, Mogadischu einzukreisen.

Ifrah Nur (Name geändert) spürt die Folgen. Sie lebt mit ihren vier Kindern in einem Flüchtlingslager, am nördlichen Rand Mogadischus. Geflohen ist sie aus Awdheegle, einem Ort rund 75 Kilometer südwestlich der Hauptstadt. Dort brachen schwere Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Al‑Shabaab aus.

Dutzende Frauen suchen im Schatten eines Myrrhenbaums Schutz – im Flüchtlingslager am Rand von Mogadischu.
Legende: Dutzende Frauen suchen im Schatten eines Myrrhenbaums Schutz – im Flüchtlingslager am Rand von Mogadischu. SRF/Sarah Fluck

«Ich habe tote Soldaten gesehen, überall Leichen», erzählt sie. «Dann fielen Mörsergranaten. Ich hatte Angst, dass meine Kinder sterben.» Sie floh zu Fuss, vorbei an brennenden Häusern, zerstörten Autos, Verletzten am Strassenrand. Die Flucht dauerte Tage. Heute sitzt sie mit anderen Frauen im Staub unter einem Myrrhenbaum – zwischen den Fronten sozusagen.

Regierung gelähmt

Noch 2022 galt die Stimmung in Somalia als vorsichtig optimistisch. Clanmilizen hatten sich gegen Al‑Shabaab erhoben, unterstützt von der Regierung. Die Mobilisierung damals sei emotional gewesen – getragen von Wut und Hoffnung. Doch nach wenigen Monaten sei die Energie verpufft, das Momentum verloren gegangen. «Die Regierung hat nie eine langfristige Strategie entwickelt», sagt Analystin Gaid.

Wer ist Al‑Shabaab?

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Al‑Shabaab («Die Jugend») ist eine islamistische Terrororganisation in Somalia. Sie ging aus der Union islamischer Gerichte hervor und kontrollierte 2006 bis 2011 Teile von Mogadischu. Die Gruppe ist mit Al-Kaida verbündet und kämpft für einen islamischen Gottesstaat. Sie nutzt Guerillamethoden, verübt regelmässig Anschläge und kontrolliert inzwischen wieder weite Teile des Landes. Al‑Shabaab finanziert sich über Schutzgelder, Schmuggel und Steuern in den besetzten Gebieten. Die Miliz hat eine parallele Verwaltung aufgebaut und nutzt gezielt Deals mit lokalen Clans, um Gebiete kampflos zu übernehmen. Internationale Truppen (u. a. Uganda, USA) versuchen, die Miliz militärisch zurückzudrängen – bislang ohne nachhaltigen Erfolg. Die aktuelle Offensive (seit März 2025) gilt als eine der koordiniertesten seit Jahren. Ziel ist, Mogadischu erneut zu isolieren und langfristig zu destabilisieren.

Hinzu kommt politischer Stillstand. 2026 wird gewählt. «Statt gegen Al‑Shabaab zu kämpfen, konzentriert sich die Regierung auf Machtverteilung», kritisiert Gaid. Auch internationale Partner ziehen sich zurück – und die neue afrikanische Friedensmission ist unterfinanziert.

Motorradfahrer im Flüchtlingslager am Stadtrand von Mogadischu.
Legende: Ein Motorradfahrer fährt durch ein Flüchtlingslager am Stadtrand von Mogadischu – viele Menschen suchen hier aus den umliegenden Dörfer Schutz vor Al‑Shabaab. SRF/Sarah Fluck

Al‑Shabaab nutzt das Vakuum: In manchen Dörfern macht sie den Menschen Angebote – Jobs, weniger Steuern, Sicherheit. Wer sich verweigert, wird mit Gewalt unterworfen.

Hilfe in Gefahr

Auch für Hilfsorganisationen wird die Lage zunehmend schwieriger. Francesca San Giorgio, humanitärer Direktor von Save the Children Somalia, sagt: «Die Sicherheitslage ist katastrophal. Gewalt ist inzwischen Hauptfluchtursache – noch vor Hunger oder Dürre.» Auch Helferinnen und Helfer seien gefährdet, Zugänge zu Bedürftigen oft abgeschnitten. Hinzu kommen Kürzungen bei den Hilfsgeldern – wichtige Projekte stehen vor dem Aus.

Kein Ende in Sicht

Ein direkter Angriff von Al‑Shabaab auf Mogadischu blieb bisher aus – doch die Bedrohung ist real und rückt näher. Beobachterin Gaid erwartet, dass die Miliz den Gürtel um die Hauptstadt weiter schliesst – um langfristig auch dort wieder zuzuschlagen.

Frauen beim Einkaufen in Mogadischu.
Legende: Frauen beim Einkaufen im Zentrum von Mogadischu – der Alltag geht weiter, trotz der ständigen Bedrohung durch Al‑Shabaab. SRF/Sarah Fluck

Ein schneller Sieg gegen die Miliz ist nicht in Sicht. Die Regierung ist politisch blockiert, internationale Partner ziehen sich zurück – Al‑Shabaab dagegen agiert strategisch und geduldig. Für viele Somalierinnen wie Ifrah Nur bedeutet das: Flucht, Angst, Verlust – und keine Rückkehr in Sicht.

Echo der Zeit, 31.7.25, 18 Uhr;srf/flus;liea

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