Checkpoints, bewaffnete Soldaten, Fahrzeugkontrollen – das ist Alltag in Mogadischu. Die islamistische Miliz Al‑Shabab verübt regelmässig Anschläge in der Hauptstadt, lebt dort im Untergrund.
Doch jenseits der Stadtgrenzen agiert sie offen: Sie kontrolliert weite Teile Zentral- und Südsomalias – auch Orte, die einst von Regierungstruppen zurückerobert wurden.
«Wir sind wieder da, wo wir 2017 waren», sagt Sicherheitsanalystin Samira Gaid in Mogadischu. Al‑Shabaab habe fast alle Gebiete rund um die Hauptstadt zurückerobert, die zwischenzeitlich unter Kontrolle der Regierung standen. Besonders seit dem Ramadan im März sei die Miliz erneut in die Offensive gegangen – mit dem Ziel, Mogadischu einzukreisen.
Ifrah Nur (Name geändert) spürt die Folgen. Sie lebt mit ihren vier Kindern in einem Flüchtlingslager, am nördlichen Rand Mogadischus. Geflohen ist sie aus Awdheegle, einem Ort rund 75 Kilometer südwestlich der Hauptstadt. Dort brachen schwere Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Al‑Shabaab aus.
«Ich habe tote Soldaten gesehen, überall Leichen», erzählt sie. «Dann fielen Mörsergranaten. Ich hatte Angst, dass meine Kinder sterben.» Sie floh zu Fuss, vorbei an brennenden Häusern, zerstörten Autos, Verletzten am Strassenrand. Die Flucht dauerte Tage. Heute sitzt sie mit anderen Frauen im Staub unter einem Myrrhenbaum – zwischen den Fronten sozusagen.
Regierung gelähmt
Noch 2022 galt die Stimmung in Somalia als vorsichtig optimistisch. Clanmilizen hatten sich gegen Al‑Shabaab erhoben, unterstützt von der Regierung. Die Mobilisierung damals sei emotional gewesen – getragen von Wut und Hoffnung. Doch nach wenigen Monaten sei die Energie verpufft, das Momentum verloren gegangen. «Die Regierung hat nie eine langfristige Strategie entwickelt», sagt Analystin Gaid.
Hinzu kommt politischer Stillstand. 2026 wird gewählt. «Statt gegen Al‑Shabaab zu kämpfen, konzentriert sich die Regierung auf Machtverteilung», kritisiert Gaid. Auch internationale Partner ziehen sich zurück – und die neue afrikanische Friedensmission ist unterfinanziert.
Al‑Shabaab nutzt das Vakuum: In manchen Dörfern macht sie den Menschen Angebote – Jobs, weniger Steuern, Sicherheit. Wer sich verweigert, wird mit Gewalt unterworfen.
Hilfe in Gefahr
Auch für Hilfsorganisationen wird die Lage zunehmend schwieriger. Francesca San Giorgio, humanitärer Direktor von Save the Children Somalia, sagt: «Die Sicherheitslage ist katastrophal. Gewalt ist inzwischen Hauptfluchtursache – noch vor Hunger oder Dürre.» Auch Helferinnen und Helfer seien gefährdet, Zugänge zu Bedürftigen oft abgeschnitten. Hinzu kommen Kürzungen bei den Hilfsgeldern – wichtige Projekte stehen vor dem Aus.
Kein Ende in Sicht
Ein direkter Angriff von Al‑Shabaab auf Mogadischu blieb bisher aus – doch die Bedrohung ist real und rückt näher. Beobachterin Gaid erwartet, dass die Miliz den Gürtel um die Hauptstadt weiter schliesst – um langfristig auch dort wieder zuzuschlagen.
Ein schneller Sieg gegen die Miliz ist nicht in Sicht. Die Regierung ist politisch blockiert, internationale Partner ziehen sich zurück – Al‑Shabaab dagegen agiert strategisch und geduldig. Für viele Somalierinnen wie Ifrah Nur bedeutet das: Flucht, Angst, Verlust – und keine Rückkehr in Sicht.