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Rückzug aus Afghanistan Die USA sind weg, China übernimmt in Afghanistan

China wird der Profiteur vom Abzug der USA aus Afghanistan. Peking wird wohl wesentlich vorsichtiger, zurückhaltender und damit letztlich erfolgreicher agieren als die Amerikaner.

Schon zeichnet sich die neue Ordnung in Afghanistan ab, bei welcher China die Schlüsselrolle spielen wird: Aussenminister Wang Yi empfing diesen Sommer eine hochrangige Delegation der Taliban. Seine Sprecherin Hua Chunying reagiert auf deren Machtübernahme in Kabul ausgesprochen positiv: Die Taliban seien an guten Beziehungen zu China interessiert und würden dessen starke Beteiligung an der Entwicklung des Landes begrüssen.

Nicht die Seidenstrasse, aber Kupfer und Erdöl

Peking habe in Afghanistan, mit dem es ein paar Dutzend Kilometer Landgrenze verbindet, ein doppeltes Interesse, sagt der Buchautor Azeem Ibrahim, Direktor der Denkfabrik Newsline Institute in Washington und Dozent am US Army War College: «Zum einen die regionale Stabilität. Zum andern die bisher fast unangetasteten Rohstoffvorkommen in Afghanistan. Bereits jetzt ist China beteiligt an einer Kupfermine bei Kabul und an Erdölfeldern im Norden des Landes.»

Für das chinesische Projekt der neuen Seidenstrasse sei Afghanistan hingegen unerheblich: Denn die wichtigsten Verkehrs- und Transportwege führten nördlich und südlich des Landes durch. Wichtig sei bloss, dass von Afghanistan keine destabilisierende Wirkung auf die Nachbarländer ausgehe, also nach Pakistan oder Zentralasien, wo China stark engagiert sei.

Wichtig ist bloss, dass von Afghanistan keine destabilisierende Wirkung auf die Nachbarländer ausgeht, wo China stark engagiert ist.
Autor: Azeem Ibrahim Direktor Newsline Institute Washington

Keine chinesische Militärpräsenz zu erwarten

Klar sei, so Ibrahim, dass China das Vakuum füllen wolle, das die USA und der Westen insgesamt hinterlassen. China habe das gescheiterte Engagement der USA gründlich analysiert und ziehe Lehren daraus.

Die Wichtigste: «Bloss keine zu hohen Ambitionen.» Die Chinesen wollten in Afghanistan keinen neuen Staat aufbauen, sondern sich auf Einfluss und Investitionen beschränken. Diese werde China keinesfalls mit eigenen Soldaten schützen, sondern mit bezahlten Söldnern.

Eine chinesische Militärpräsenz in Afghanistan werde es nicht geben, ist Ibrahim überzeugt. Berater und Techniker für die Taliban-Armee dürften hingegen die Russen stellen. Peking habe auch keinerlei Erwartungen an die Taliban, wie diese ihr Land regieren sollen.

Pragmatisch mit allen Machthabern

China arrangiert sich mit wem auch immer an der Macht. Menschenrechte, Demokratie, Medienfreiheit, all das spielt keine Rolle. Die einzige entschiedene Forderung an das Taliban-Regime lautet: Unterstützt nicht muslimische Gruppierungen in China, und verhindert, dass aus Afghanistan Terroranschläge auf unserem Territorium lanciert werden. Das haben die Taliban bereits zugesichert.

Für die Taliban bedeutet die Verbindung zu China eine gewaltige Rückenstärkung: Wenn Peking und wohl auch Moskau das Regime anerkennen – und als Folge davon viele weitere Staaten –, ist Afghanistan nicht länger isoliert, egal was der Westen tut. «Die Taliban können sich um westliche Forderungen foutieren, weil sie dann weder politisch noch wirtschaftlich auf den Westen angewiesen sind», sagt Ibrahim.

Die Taliban können sich um westliche Forderungen foutieren, weil sie dann weder politisch noch wirtschaftlich auf den Westen angewiesen sind.
Autor: Azeem Ibrahim Direktor Newsline Institute Washington

Chinas Engagement in Afghanistan ist also durchaus erfolgversprechend. Gerade, weil es diskreter sein wird als bisher das westliche. Dank geringerer Sichtbarkeit gibt es zudem kaum Anlass für die afghanische Bevölkerung, China als Besatzungsmacht zu sehen.

Eine ganz andere Frage ist natürlich, was die Auswechslung der USA durch China als dominierende ausländische Macht für das afghanische Volk bedeutet, vor allem für die Frauen und die freiheitlich gesinnten Kräfte im Land.

Wie steht es um die USA als Weltmacht?

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Auch Constanze Stelzenmüller von der Denkfabrik Brookings Institution in Washington schaute nach eigenen Angaben mit Entsetzen auf den unerwartet raschen Abzug der USA in Afghanistan. Nun sei wohl allen nach der Inauguration am 6. Januar klar geworden, wie gewaltig der innenpolitische Druck auf US-Präsident Joe Biden und seiner Regierung laste.

Angetreten als empathischer Präsident gegen das chaotische und häufig menschenverachtende Team von Donald Trump habe Biden mit der Afghanistan-Entscheidung nun gezeigt: «Amerika definiert seine nationalen Interessen sehr kühl und eng und dies offensichtlich unter der Wahrnehmung gewaltigen innenpolitischen Drucks.»

Verständlicherweise machten sich Taiwan, andere asiatische Verbündete und auch die EU nach diesem Signal der USA Sorgen. Dies wäre laut Stelzenmüller angesichts der innenpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den USA schon lange nötig gewesen, welche die Supermacht in ihrer Verantwortung überlasteten: «Da haben sich die Europäer viel zu lange im Windschatten ausgeruht.» Die Europäer müssten sehr viel mehr im transatlantischen Bündnis tun – im eigenen Interesse und unabhängig davon, was die Amerikaner tun oder lassen.

Ungeachtet dessen sei das Bündnis mit den Amerikanern unverzichtbar, sagt Stelzenmüller: «Das spürt man in Europa und auch in der Schweiz an der Intensität und Ruppigkeit, mit der sich nicht nur Russland, sondern auch China in europäische Angelegenheiten einmischen. Das ist keine Situation, in der man sich einfach nach Hause zurückziehen kann.»

Echo der Zeit, 20.08.2021, 18:00 Uhr

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