In Russland wird jegliche Opposition unterdrückt, selbst viele unpolitische NGOs und Vereine sind als «ausländische Agenten» deklariert. Doch eine Bewegung scheint aufzublühen: Die rechtsradikale Gruppe «Russische Gemeinschaft» breitet sich aus.
So hat sie etwa an einem warmen Sommertag zu einem Quartierfest im Süden Moskaus geladen. Es gibt Tee und Kuchen, Kinder spielen und zu Handorgelmelodien wird im Kreis getanzt.
Die Frauen tragen lange Bäuerinnenkleider, die Männer hingegen Springerstiefel, Cargohosen und Poloshirts mit der Aufschrift «Russische Gemeinschaft».
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Bild 1 von 3. Mit harmlos erscheinenden Quartierfesten will die «Russische Gemeinschaft» neue Mitglieder anziehen. Bildquelle: Jewgeni Kurbatow/SRF.
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Bild 2 von 3. Die Gruppe zelebriert «russische Traditionen», aber auch ein hartes Vorgehen gegen Migrantinnen und Migranten. Bildquelle: SRF / Calum MacKenzie.
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Bild 3 von 3. Am Quartierfest bringt die «Gemeinschaft» mit einer Plakatausstellung den Besuchenden ihre Ideologie näher. Bildquelle: SRF / Calum MacKenzie.
An einem kleinen Tisch messen sich stämmige Typen im Armdrücken. Einer von ihnen ist Sergei.
«Wir wollen unsere Wurzeln wiederentdecken», sagt er. «Das orthodoxe Christentum, das Nächstenliebe lehrt. Wir helfen einander.»
Patrouillen im Quartier
Die «Hilfe», die Sergei beschreibt, umfasst unter anderem Streifengänge durchs Quartier.
«Viele Leute sorgen sich um ihre Sicherheit», sagt er. Russland leide unter einer «Invasion» – er meint die Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Zentralasien, die in Russland als Bauarbeiter und Putzkräfte dienen. «Darum patrouillieren wir im Quartier», so Sergei. «Wer sich daneben benimmt, wird verwarnt. Wenn er nicht hören will, holen wir die Behörden.»
Fremdenfeindliche Selbstjustiz
Die «Russische Gemeinschaft» macht sich in Russland immer bemerkbarer. Bei sogenannten «Razzien» auf Märkten und in Wohnheimen entführen Mitglieder vermeintlich illegale Einwanderer und bringen sie der Polizei. Diese fremdenfeindliche Selbstjustiz stellen sie als gesetzeskonformen Aktivismus dar.
«Auf russischem Boden soll der Russe der Herr sein», so Sergei. Diese Ansicht sei früher verpönt gewesen. «Aber unsere Bewegung wächst, und wir dürfen jetzt offen sagen, dass wir Russen sind.»
In Wahrheit durfte man das schon immer, und Migranten werden seit Jahren ausgebeutet. Aber die «Russische Gemeinschaft» ist im Aufwind: Sie erhält Lob von hohen Kremlfunktionären und von Patriarch Kirill, dem russischen Kirchenoberhaupt.
Einst unterdrückte der Staatsapparat solche Gruppen – das weiss Dmitri Djomuschkin, einer der prominentesten Rechtsradikalen Russlands. Seine Parteien wurden verboten, er selbst sass zwei Jahre im Gefängnis.
Von der «Russischen Gemeinschaft» halte er wenig, sagt Djomuschkin beim Tee in einer leeren Quartierbeiz.
Nur Kremltreue werden toleriert
«In Russland ist die echte Opposition zerschlagen, egal ob links oder rechts», so Djomuschkin. «Nur loyale Gruppen dürfen existieren. Sie müssen den Krieg befürworten und sich gegen echte Kritiker stellen.»
Die «Russische Gemeinschaft», so Djomuschkin, sei wie die Scheinopposition im Parlament – nominell etwa links oder liberal, aber kremltreu. Und die «Gemeinschaft» solle die rechten Stimmen binden, nachdem Parteien wie seine verboten wurden.
Der Kreml vernichtet solche Organisationen, sobald sie ihm nicht mehr nützlich sind.
Doch das Regime will mehr als nur Pluralismus vorgaukeln. Es scheint die Rechtsradikalen gar zu hofieren, etwa mit strengen neuen Migrationsgesetzen. Vieles spricht dafür, dass der Kreml hofft, mit Rechtspopulismus die Bevölkerung für den Krieg zu mobilisieren.
Die «Russische Gemeinschaft» habe aber keine Zukunft, glaubt der langjährige Rechtsaussen-Politiker Dmitri Djomuschkin.
«Der Kreml vernichtet solche Organisationen, sobald sie ihm nicht mehr nützlich sind», sagt er. «Dann rechnet er mit ihnen ab.»