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«Russische Gemeinschaft» Bei den Rechtsextremen mit Kreml-Segen

Eine rechtsradikale Gruppe breitet sich in Russland aus – und wird von den Behörden toleriert. Das macht auch Gleichgesinnte skeptisch.

In Russland wird jegliche Opposition unterdrückt, selbst viele unpolitische NGOs und Vereine sind als «ausländische Agenten» deklariert. Doch eine Bewegung scheint aufzublühen: Die rechtsradikale Gruppe «Russische Gemeinschaft» breitet sich aus.

So hat sie etwa an einem warmen Sommertag zu einem Quartierfest im Süden Moskaus geladen. Es gibt Tee und Kuchen, Kinder spielen und zu Handorgelmelodien wird im Kreis getanzt. 

Die Frauen tragen lange Bäuerinnenkleider, die Männer hingegen Springerstiefel, Cargohosen und Poloshirts mit der Aufschrift «Russische Gemeinschaft».

An einem kleinen Tisch messen sich stämmige Typen im Armdrücken. Einer von ihnen ist Sergei.

«Wir wollen unsere Wurzeln wiederentdecken», sagt er. «Das orthodoxe Christentum, das Nächstenliebe lehrt. Wir helfen einander.»

Patrouillen im Quartier

Die «Hilfe», die Sergei beschreibt, umfasst unter anderem Streifengänge durchs Quartier.

Rechtswidrige «Razzien»

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Zahlreiche Videos in den sozialen Netzwerken zeigen, wie die «Russische Gemeinschaft» gegen Migrantinnen und Migranten vorgeht. Eine Gruppe Männer kommt jeweils in ein Wohnheim oder eine Teestube, wo sich Migranten aus Zentralasien aufhalten, und fordert sie auf, ihre Ausweise zu zeigen – was sie als Normalbürger eigentlich gar nicht dürfen. Wenn die Rechtsradikalen der Meinung sind, mit den Papieren eines Migranten sei etwas nicht in Ordnung, dann nehmen sie ihn mit zur Polizei. Oft arbeitet die Polizei aktiv mit der «Russischen Gemeinschaft» zusammen – ein klares Beispiel für die Verbindungen zu den Behörden.

«Viele Leute sorgen sich um ihre Sicherheit», sagt er. Russland leide unter einer «Invasion» – er meint die Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Zentralasien, die in Russland als Bauarbeiter und Putzkräfte dienen. «Darum patrouillieren wir im Quartier», so Sergei. «Wer sich daneben benimmt, wird verwarnt. Wenn er nicht hören will, holen wir die Behörden.»

Fremdenfeindliche Selbstjustiz

Die «Russische Gemeinschaft» macht sich in Russland immer bemerkbarer. Bei sogenannten «Razzien» auf Märkten und in Wohnheimen entführen Mitglieder vermeintlich illegale Einwanderer und bringen sie der Polizei. Diese fremdenfeindliche Selbstjustiz stellen sie als gesetzeskonformen Aktivismus dar.

«Auf russischem Boden soll der Russe der Herr sein», so Sergei. Diese Ansicht sei früher verpönt gewesen. «Aber unsere Bewegung wächst, und wir dürfen jetzt offen sagen, dass wir Russen sind.»

In Wahrheit durfte man das schon immer, und Migranten werden seit Jahren ausgebeutet. Aber die «Russische Gemeinschaft» ist im Aufwind: Sie erhält Lob von hohen Kremlfunktionären und von Patriarch Kirill, dem russischen Kirchenoberhaupt.

Hilfe von hohen Tieren

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Mitglieder der «Russischen Gemeinschaft» werden von den Behörden nicht nur nicht behelligt, sondern teilweise von hohen Kremlfiguren gedeckt: So intervenierte der mächtige Chef des staatlichen Ermittlungskomitees, als zwölf Mitglieder nach einer Schlägerei mit ausländischen Taxifahrern in St. Petersburg verhaftet wurden. Er forderte, dass gegen die verhaftenden Polizisten ein Verfahren eingeleitet werde.

Ein anderes Zeichen für die Tolerierung des Kremls ist die Nähe der «Russischen Gemeinschaft» zur orthodoxen Kirche. Jüngst hat die «Russische Gemeinschaft» in Moskau einen religiösen Umzug veranstaltet, bei dem Patriarch Kirill höchstpersönlich dabei war. Die orthodoxe Kirche gilt in Russland als stark mit dem Staat verbandelt.

Einst unterdrückte der Staatsapparat solche Gruppen – das weiss Dmitri Djomuschkin, einer der prominentesten Rechtsradikalen Russlands. Seine Parteien wurden verboten, er selbst sass zwei Jahre im Gefängnis.

Hochhäuser neben Bäumen und Café bei sonnigem Wetter.
Legende: Der prominente russische Rechtsaussen-Politiker Dmitri Djomuschkin lebt in einem Wohnquartier im Süden Moskaus. SRF / Calum MacKenzie

Von der «Russischen Gemeinschaft» halte er wenig, sagt Djomuschkin beim Tee in einer leeren Quartierbeiz.

Nur Kremltreue werden toleriert

«In Russland ist die echte Opposition zerschlagen, egal ob links oder rechts», so Djomuschkin. «Nur loyale Gruppen dürfen existieren. Sie müssen den Krieg befürworten und sich gegen echte Kritiker stellen.»

Menschen auf einem Gehweg neben einer Strasse mit Bäumen.
Legende: Djomuschkin (links im Bild) hält wenig von der «Russischen Gemeinschaft». SRF / Calum MacKenzie

Die «Russische Gemeinschaft», so Djomuschkin, sei wie die Scheinopposition im Parlament – nominell etwa links oder liberal, aber kremltreu. Und die «Gemeinschaft» solle die rechten Stimmen binden, nachdem Parteien wie seine verboten wurden.

Der Kreml vernichtet solche Organisationen, sobald sie ihm nicht mehr nützlich sind.
Autor: Dmitri Djomuschkin Russischer Rechtsradikaler

Doch das Regime will mehr als nur Pluralismus vorgaukeln. Es scheint die Rechtsradikalen gar zu hofieren, etwa mit strengen neuen Migrationsgesetzen. Vieles spricht dafür, dass der Kreml hofft, mit Rechtspopulismus die Bevölkerung für den Krieg zu mobilisieren.

Gebeutelte Gastarbeiter

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Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Zentralasien werden in Russland seit Jahrzehnten ausgebeutet: Sie arbeiten für sehr niedrige Löhne, als Taxifahrer, auf dem Bau oder als Putzkräfte. Einige Fälle kommen eher moderner Sklaverei gleich: Arbeitern werden etwa die Reisepässe abgenommen, bis sie den Job erledigt haben. In den letzten Jahren kommt viel mehr Druck vonseiten der Behörden hinzu. Nicht nur die Selbstjustiz von Gruppen wie der «Russischen Gemeinschaft», auch Razzien vonseiten der Polizei werden häufiger.

In Moskau müssen Migranten neu per Gesetz auf dem Handy eine App installiert haben, die ihren Standort konstant an die Polizei übermittelt. Und Kinder von Gastarbeitern müssen seit diesem Schuljahr einen schwierigen Russisch-Test bestehen, sonst dürfen sie nicht zur Schule. Immer mehr Gastarbeiter bleiben Russland angesichts des steigenden Drucks fern. Doch der Kreml hält an seiner Politik fest, obwohl in Russland ein akuter Arbeitskräftemangel herrscht. 

Die «Russische Gemeinschaft» habe aber keine Zukunft, glaubt der langjährige Rechtsaussen-Politiker Dmitri Djomuschkin.

«Der Kreml vernichtet solche Organisationen, sobald sie ihm nicht mehr nützlich sind», sagt er. «Dann rechnet er mit ihnen ab.»

Echo der Zeit, 7.10.2025, 18 Uhr; noes

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