Sodnom Budatarow durchsucht einen Abfallsack in einem Moskauer Hinterhof. Er findet eine Petflasche, eine Aludose und ein Stück Karton. Das alles könne man rezyklieren, sagt er. Da habe die Mülltrennung noch nicht geklappt. Der Verwaltungswissenschaftler ist einer der wenigen Abfallexperten Russlands und unterrichtet an einer staatlichen Universität.
Was er bei seiner Feldforschung sieht, stellt ihn zufrieden – trotz einzelner Fehlfunde im Abfallsack. «Hier steht ein grosser Container mit verschiedenen Öffnungen: Glas, Plastik, Papier und Elektroschrott.»
Rund acht Millionen Tonnen Haushaltsmüll fallen in Moskau jährlich an. Bis vor Kurzem wanderte praktisch alles auf Deponien im Umland. Doch viele Deponien sind voll und neue zu bauen wird immer schwieriger. «Jedes neue Objekt führt zu Widerstand. Niemand möchte neben einem Müllhaufen leben», sagt Budatarow.
Die Staatsmacht, die in Russland sonst oft mit Härte reagiert, ist auf die Gesellschaft zugegangen. Das Parlament hat eine Müllreform beschlossen, die in Wahrheit eine kleine Müllrevolution ist. Nicht nur sollen Verbrennungsanlagen gebaut, sondern auch die Abfallmenge reduziert werden: mit Recycling.
Jede neue Deponie führt zu Widerstand aus der Gesellschaft. Niemand möchte neben einem Müllhaufen leben.
«Die Politik hat richtig entschieden», sagt Budatarow. Zumal viele Russinnen und Russen jetzt schon bereit sind, Müll zu trennen. Eine kleine Strassenumfrage in Moskau zeigt: die Recycling-Offensive der Stadtverwaltung kommt gut an.
«Ich finde es sehr gut, dass wir den Müll endlich trennen können», sagt eine Frau. Früher gab es diese Möglichkeit nicht. Auch eine andere Passantin trennt seit einigen Wochen fleissig den Abfall, bemängelt aber die Umsetzung der neuen Entsorgungsstrategie: «Die Container vor meinem Haus sind nicht gut angeschrieben. Ich verstehe nicht, wo ich welche Art von Müll hineinwerfen soll.»
Auch Budatarow ortet Verbesserungspotenzial. Die Recyclinganlage, die er soeben in einem Hinterhof inspiziert hat, ist besser als die meisten auf Moskauer Stadtgebiet.
Das ist kein Zufall: Die Container gehören zu einem ehemaligen Fabrikareal, in dem jetzt hippe Cafés, coole Läden und schicke Büros untergebracht sind. Hier verkehren progressive Moskauerinnen und Moskauer, die für ökologische Themen empfänglich sind. Entsprechend ausgebaut ist die Infrastruktur.
Es geht um riesige Summen. Die Stadt Moskau kann sich das leisten, viele andere Regionen aber nicht.
Das sehe nicht überall in der Stadt so aus, erklärt Budatarow. «In dem Vorort, in dem ich wohne, gibts einfach zwei Container: einen für wiederverwertbare Stoffe wie Glas, Papier oder Plastik. Und einen anderen für Restmüll.»
Immer wieder gibt es auch Klagen von Bürgern, die sehen, wie Recyclingware und der andere Abfall zusammen im Bauch des gleichen Lastwagens verschwinden. Das drückt auf die Motivation, zu Hause sorgsam den Müll zu trennen.
Ein Anfang ist gemacht
Das Problem sei die Infrastruktur, sagt Budatarow: für jede Sorte Müll brauche es eigene Container und eigene Müllwagen. Es brauche im ganzen Land Fabriken, um den wiederverwertbaren Abfall zu sortieren – und es brauche Experten, die Städten und Gemeinden helfen, die Müllreform umzusetzen.
Für all das fehle vielerorts das Geld: «Da geht es um riesige Summen. Die Stadt Moskau kann sich das leisten, viele andere Regionen aber nicht.» Fest steht: Russland steht beim Recycling erst am Anfang. Aber mit den neuen Containern in Moskaus Hinterhöfen ist dieser Anfang gemacht.
Rendez-vous vom 25.02.2020, 12:30 Uhr; imhm