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Russischer Kreml-Kritiker Nawalny wegen «Extremismus» vor Gericht

  • Im umstrittenen Extremismus-Verfahren gegen den inhaftierten Kremlgegner Alexej Nawalny ist der erste offizielle Prozesstag angesetzt.
  • Das Moskauer Stadtgericht tagt nach Angaben von Nawalnys Anwältin in einem Straflager rund 260 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt im Gebiet Wladimir.
  • Dem prominentesten Gegner Putins, der zurzeit eine neunjährige Haftstrafe absitzt, drohen weitere 30 Jahre Lagerhaft.
  • Das Verfahren findet wegen «angeblicher Sicherheitsbedenken» unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wie der Richter begründete.

Bei den Vorwürfen geht es vor allem um Nawalnys Stiftung für Korruptionsbekämpfung. Die Organisation war von Russland vor zwei Jahren offiziell zur extremistischen Organisation erklärt worden. Zu diesem Zeitpunkt war Nawalny bereits im Gefängnis.

Alexej Nawalny.
Legende: Alexej Nawalny wird am 31. Mai 2023 per Video vom Straflager aus zu einer ersten Anhörung vor dem Moskauer Strafgericht zugeschaltet. Keystone/EPA/Moscow City Court Press Service Handout

Nun wird ihm vorgeworfen, eine extremistische Organisation gegründet und extremistische Tätigkeiten finanziert zu haben. Es werden ihm also rückwirkend Tätigkeiten zum Vorwurf gemacht, die zum Zeitpunkt, als Nawalny ihnen noch nachgegangen war, völlig legal waren.

Der Kreml testet dieses neue Instrument, um potenziell seine gesamte Gegnerschaft für schon lange vergangene Aktivitäten zu verurteilen.
Autor: Calum MacKenzie Russland-Korrespondent

Nawalny sitzt bereits eine langjährige Haftstrafe ab. Warum das russische Regime erneut auf Nawalny abzielt, ist schwierig zu durchschauen. Aber die jahrzehntelangen Haftstrafen sind Teil eines Musters der neuen Repression in Russland seit dem Grossangriff auf die Ukraine, wie SRF-Russland-Korrespondent Calum MacKenzie erklärt: Auch andere Oppositionelle und Medienschaffende wurden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, was zuvor eher unüblich war. 

Nawalnys Eltern Besuch verweigert +++ Neue Anti-Kriegskampagne

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Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch veröffentlichte auf Twitter ein Video, das die Eltern des Oppositionellen vor dem Straflagergelände zeigt. Selbst sie seien nicht zu ihrem Sohn vorgelassen worden. «Alexejs Eltern haben ihn das letzte Mal vor mehr als einem Jahr gesehen», schrieb Jarmysch.

Angesichts des Prozess-Beginns liess Nawalny zudem durch sein Team über den Beginn einer neuen Anti-Kriegs-Kampagne informieren. Mit der Hilfe vieler Freiwilliger wolle er etwa in sozialen Netzwerken Millionen Russen erreichen und sie nach und nach von der Sinnlosigkeit der Kämpfe gegen die Ukraine überzeugen, schrieb er in einem auf seiner Homepage veröffentlichten Beitrag.

Feindbild Nawalny

Nawalny stellt für die russische Machtelite ein besonderes Feindbild dar, weil er deren Korruption beleuchtet hat. Es ist aber auch offensichtlich, dass die Behörden die neuen rückwirkenden Urteile austesten wollen.

So war vergangene Woche bereits eine Wahlkampfleiterin Nawalnys zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Ein Gericht in der Stadt Ufa am Ural befand Lilia Tschanyschewa am Mittwoch unter anderem der Schaffung einer «extremistischen Organisation» für schuldig, obwohl die Organisation damals gar nicht als extremistisch gegolten hatte.

Lilia Tschanyschewa.
Legende: Die ehemalige Nawalny-Mitarbeiterin Lilia Tschanyschewa. International gelten Nawalny und seine Unterstützerinnen als politische Gefangene des immer repressiver werdenden russischen Machtapparats. Amnesty International

Nawalny hält seit seiner Verhaftung in Moskau im Januar 2021 die Vollzugsbehörden auf Trab. Er hat Klagen gegen die Misshandlungen im Gefängnis eingereicht und zieht die Schikanen der Behörden auch ins Lächerliche. So beantragte er beispielsweise ein Känguru oder eine Balalaika für seine Zelle.

Verblasst die Leuchtfigur?

Nawalny meldet sich über seine Anwälte zwar regelmässig mit politischen Äusserungen in der Öffentlichkeit, scheint aber trotzdem ein wenig in Vergessenheit zu geraten: Seine Organisation und sein Netzwerk sind in Russland zerschlagen. Seine Anhängerinnen und Anhänger im Exil haben einen schweren Stand.

Letztlich ist sein Einfluss doch sehr eingeschränkt. Mit seiner Rückkehr nach Russland und seiner Inhaftierung habe er sich viel Respekt verschafft, aber langfristig könnte sein Stern in der russischen Opposition sinken, schätzt MacKenzie.

Straflager heisst systematische Schikane

Vor zwei Monaten wurde der Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa zu 25 Jahren Haft verurteilt. Wieder ein Putin-Gegner, der im Gefängnis bleibt, bis er stirbt oder bis Putins Regime fällt – so lautete etwa damals ein Kommentar.

Kara-Mursa
Legende: Der Oppositionelle war Wladimir Kara-Mursa ist im letzten April zu 25 Jahren Haft in einem Straflager mit besonders harten Haftbedingungen verurteilt worden. Er war ein Jahr zuvor verhaftet worden, weil er sich zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine geäussert hatte. Der Europarat rief zu seiner unverzüglichen Freilassung auf. imago images/Sputni/Aleksey Nikolskyi/

Kara-Mursa und Nawalny werden im Straflager systematisch schikaniert. Ihnen wird oft auch medizinische Hilfe verwehrt. Man sieht ihnen an, dass ihre Gesundheit sehr gelitten hat. Kara-Mursa etwa nahm in einem Jahr Untersuchungshaft 17 Kilogramm ab.

SRF 4 News, 19.06.2023, 07:50 Uhr ; 

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