Eine Frau sitzt in einem Zug, sie schminkt sich. Dabei geht etwas schief und der Mann neben ihr bekommt auch Puder ab. Er sagt zu ihr: «Ich muss mich nicht schminken, Schönheit.»
Diese Szene stammt aus einem Werbespot in China – der dort für gehörigen Wirbel sorgt. Das Video wurde von der staatlichen Eisenbahngesellschaft veröffentlicht, die Frauen bittet, sich im Zug nicht mehr zu schminken. Nun ist eine neue Debatte über Sexismus in China entbrannt.
Es ist ein Witz, dass das als unzivilisiertes Verhalten dargestellt wird.
Ist es in China ein Problem, sich im Zug zu schminken? Nein, sagt NZZ-Auslandredaktorin Katrin Büchenbacher. «Es ist ein Witz, dass das als unzivilisiertes Verhalten dargestellt wird.» Zudem würden sich Frauen ähnlich selten im Zug schminken wie in der Schweiz.
Für Büchenbacher, die viele Jahre in China gelebt und dort ihr Studium absolviert hat, sind sowohl die Veröffentlichung dieses Werbevideos als auch die Reaktionen darauf nicht überraschend. «Es gab sehr viel Wut und Unverständnis», sagt sie. Man habe sich auf den chinesischen Netzwerken darüber lustig gemacht, weil der Clip eine Situation darstelle, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt.
In Realität sind es oft die Frauen, die Opfer unzivilisierten Verhaltens werden, ergänzt Büchenbacher. In China komme es beispielsweise häufig zu sexueller Belästigung in U-Bahnen. Viele Chinesinnen kritisierten, dass man viel mehr darüber sprechen sollte, so die Journalistin.
«Hallo, schöne Frau»
Das Werbevideo gehörte auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo zu den meistgesuchten Inhalten. Auch wenn das Video mittlerweile gelöscht wurde, sagt es einiges über die Stellung der Frau in China aus. «Das Frauenbild ist sehr traditionell und noch tief in der chinesischen Gesellschaft verwurzelt; von der Frau, die den Schönheitsstandards entsprechen muss und sich sehr um ihre Äusserlichkeiten sorgt», sagt Büchenbacher.
Dass das Thema Feminismus in China wichtig ist, zeigen die regen Reaktionen auf das Werbevideo. In China existiert die #MeToo-Bewegung schon seit längerem. Bewirkt habe sie «einiges», sagt Büchenbacher. Es seien Fortschritte erzielt worden, wie zum Beispiel die Schaffung eines Gesetzes gegen häusliche Gewalt.
Trotz der starken Zensur und Unterdrückung der feministischen Bewegung gab es Fälle, in denen die Opfer vor Gericht Recht bekamen. «Die Frauen in China kämpfen weiter. Und obwohl es immer wieder Rückschläge gibt und das Thema häufig zensiert wird, schaffen sie sich immer wieder Räume, um darüber zu debattieren», sagt Büchenbacher.
«Grosses Umdenken»
Dass sich das Bild und die Rolle der Frau in der Gesellschaft wirklich verbessert, braucht es laut Büchenbacher «ein grosses Umdenken». Junge Frauen, die sich oft als Feministinnen verstünden, sind die treibende Kraft dahinter.
Bei älteren Generationen und bei Männern müsse allerdings noch viel geschehen, glaubt Büchenbacher. Zudem müssten Gesetze, die in China bereits existieren, auch wirklich durchgesetzt werden. «Die Frauen in China haben noch einen langen Weg vor sich, was die Gleichstellung betrifft.»