Schon bald beginnen die langen Sommerferien in West Virginia. Die Kinder an der Baileyville Primarschule im Süden des US-Bundesstaats bereiten schon mal den «field day» vor: Am letzten Schultag wird mehr gespielt als ernsthaft gelernt. Spass und Sport stehen dann im Zentrum.
Doch ganz locker lässt Lehrerin Lisa Collins noch nicht. Nach dem Mittagessen führt sie ihre zwölf Zweitklässler zurück ins Schulzimmer – in ein liebevoll dekoriertes, gut ausgestattetes Zimmer mit Hellraumprojektor, Fingerfarben und neuen Schulbüchern.
Lehrer verdienen weniger als LKW-Fahrer
«An den Lehr- und Lernbedingungen gibt es an West Virginias Schulen wenig zu kritisieren», sagt Collins. «An den Lehrerlöhnen dafür umso mehr.» Auch Lehrerinnen und Lehrer müssten doch von ihrer Arbeit leben können, betont sie.
Eine Lehrperson in West Virginia beginnt mit weniger als 3000 Dollar pro Monat, der Durchschnittslohn liegt bei knapp 4000. Damit steht West Virginia an 48. Stelle der 50 US-Bundesstaaten. Nur Mississippi und Oklahoma zahlen noch weniger. Lastwagenchauffeure oder Kohlekumpels verdienen in West Virginia deutlich mehr als Lehrer.
Nach Steuersenkungen wurde dem Erziehungswesen das Budget massiv gekürzt.
«Kein Wunder wandern gut qualifizierte Leute ab. Die Löhne in den benachbarten Staaten sind viel höher», beklagt Collins. Über 700 Lehrerstellen konnten dieses Jahr in West Virgina nicht mit qualifiziertem Personal besetzt werden. Jene, die in West Virginia bleiben, haben die Nase gestrichen voll.
Erfolg nach zwei Wochen Streik
Ende Februar legten fast alle der gut 20'000 Lehrerinnen und Lehrer West Virginias die Arbeit nieder und protestierten vor dem Regierungsgebäude in Charleston. Fast zwei Wochen dauerte der Protest. Er endete mit einem Erfolg für die Streikenden: Fünf Prozent mehr Lohn und bessere Sozialleistungen gab es, sowie ein klares Bekenntnis der Regierung für öffentliche und gegen private Schulen.
«Der Streik war ein Wendepunkt im konservativen West Virgina», ist Dale Lee, Präsident der Lehrergewerkschaft WVEA, überzeugt. Die Lehrer wüssten nun wieder, wie viel politische Macht sie haben.
Protest greift auf andere Staaten über
Unterdessen macht das Beispiel West Virgina Schule: Auch die Lehrer in Kentucky, Oklahoma, Arizona und North Carolina riefen Streiks aus. Es handelt sich dabei samt und sonders um rote – das heisst in den USA also um konservativ-republikanisch regierte – Bundesstaaten. «In all diesen Staaten wurden Steuersenkungen durchgezogen und als Folge davon, dem Erziehungswesen das Budget zum Teil massiv gekürzt», sagt Lee.
Wir brauchen bildungsfreundliche Politiker.
Viele mächtige Republikaner möchten das öffentliche Bildungswesen schwächen und die Privatschulen stärken. Dabei sollten alle Kinder doch die gleichen Chancen haben, unabhängig vom Einkommen und Wohnort ihrer Eltern, findet der Gewerkschafter. Schliesslich sei Bildung der Schlüssel zur Chancengleichheit.
Hoffen auf einen politischen Umschwung im November
Das Argument kommt im traditionellen Arbeiterstaat West Virginia gut an. Dort wählt eine grosse Mehrheit zwar inzwischen republikanisch, aber alles lassen die West Virginians den Mächtigen nicht durch. «Die Lohnerhöhung ist ein guter Anfang», betont Lehrerin Collins. Doch der Kampf für ein besseres Erziehungswesen gehe weiter: «Wir brauchen bildungsfreundliche Politiker», sagt sie mit Nachdruck.
So hofft Collins denn auch auf die anstehenden Parlaments-Zwischenwahlen im November. Dann werden in den Vereingten Staaten alle 435 Vertreter im Repräsentantenhaus sowie ein Drittel der 100 Senatoren gewählt. Doch jetzt kommen erst mal die zehn Wochen Sommerferien.