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Schweden nach dem Terror Die Ruhe vor dem politischen Sturm

In Gedenken an die Opfer des Anschlags schweigt Schweden heute. Gleichzeitig braut sich ein politischer Sturm zusammen, sagt Skandinavien-Korrespondent Bruno Kaufmann.

SRF News: Am Wochenende nahm die Polizei im Zusammenhang mit dem Attentat von Stockholm sechs Personen fest. In welcher Verbindung stehen sie zum mutmasslichen Täter?

Bruno Kaufmann

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Bruno Kaufmann lebt in Schweden und berichtet als freier Korrespondent für Radio SRF über die nordischen und baltischen Staaten. Der Politikwissenschaftler forscht ausserdem zu Fragen der modernen Demokratie.

Bruno Kaufmann: Zunächst muss man sagen, dass sich der Verdacht gegen den Täter verstärkt hat. Es gibt kaum mehr Zweifel, dass er es war, der im Lastwagen sass, der am Freitagnachmittag durch die Fussgängerzone raste. Nun hat die Polizei weitere Personen festgenommen und rund 500 Menschen verhört. In der Nacht kam es auch zu einer Untersuchung verschiedener Baufirmen in der Umgebung von Stockholm, in denen der Täter gearbeitet haben soll. Es soll dort ein Netzwerk von Usbeken geben, die mit islamistischen Gruppen sympathisieren. Das will man jetzt genau untersuchen.

Darum geht es

  • In Stockholm ist am Freitag ein Lastwagen in eine Menschenmenge gerast . Vier Menschen starben.
  • Die Polizei geht von einem Terroranschlag aus.
  • Der mutmassliche Täter ist ein abgewiesener Asylbewerber.

Der sozialdemokratische Ministerpräsident Schwedens, Stefan Löfven, sagte, es frustriere ihn, dass der Täter vor seiner Abschiebung untergetaucht sei. Man müsse die Möglichkeiten verbessern, solche durchzusetzen. Hat die politische Debatte über das Asylwesen in Schweden bereits begonnen?

Ja und nein. Die Trauer stand natürlich im Vordergrund. Löfvens Partei, die Sozialdemokraten, hatte aber gestern gleichzeitig ihren ordentlichen Kongress. Dort hatte der Ministerpräsident die Möglichkeit, sich politisch zu äussern. Es ist schon so, dass in Schweden nach der Flüchtlingskrise von 2015 sehr viele Flüchtlinge untergetaucht sind, deren Gesuch abgewiesen wurde. Die Behörden und die Polizei haben es sehr schwer, diese abgewiesenen Asylbewerber auszuweisen. Da steht das Land vor einer sehr grossen Herausforderung.

Klassische Links-Rechts-Politik hat in Schweden an Bedeutung verloren.

Schweden gehörte lange zu den Staaten, die sich besonders offen gegenüber Flüchtlingen zeigten. Jüngst hat die Regierung das Asylgesetz aber ziemlich massiv verschärft. Wie würden Sie die Stimmung in der Bevölkerung bezüglich der Asylfrage beschreiben?

Man ist wirklich verunsichert. Der grosse Wechsel hat aber bereits Ende 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise stattgefunden. Damals hat Schweden plötzlich von sehr offen auf sehr geschlossen umgestellt. Man hat die Grenzen geschlossen und Grenzkontrollen eingeführt. Die Öffentlichkeit hat diesen Haltungswechsel auch nachvollzogen – zumindest teilweise. Gleichzeitig gibt es aber auch eine grosse Polarisierung in der Bevölkerung zwischen jenen, die an einer offenen Politik festhalten möchten, und jenen, die in der Abschottung noch viel weiter gehen wollen. Letztere werden durch den Anschlag Auftrieb erhalten.

In Schweden wird es in den nächsten Tagen und Wochen politisch intensiv zu- und hergehen.

Nächstes Jahr wird in Schweden gewählt. Gehen Sie davon aus, dass die Themen Asyl und Sicherheit im Wahlkampf zentral sein werden?

Ja, davon bin ich überzeugt. Die Frage der Migration, der Einwanderung und der damit verbundenen Kriminalität steht seit längerem weit oben auf der politischen Tagesordnung. Sie wird sehr intensiv diskutiert und hat die politische Landschaft in Schweden auch umgepflügt. Klassische Links-Rechts-Politik hat in Schweden an Bedeutung verloren, die bedeutenden Fragen drehen sich heute um weltoffen oder nationalkonservativ. Das führt dazu, dass es im schwedischen Parlament schon heute keine klaren Mehrheiten gibt. Mit Blick auf die Wahlen dürfte sich das eher noch verschärfen.

Unter dem Strich: Wie ist die Stimmung im Land heute?

Es ist ein gespaltenes Bild. Der Trauer, die Sorgen und der Wille, für die Werte der Menschlichkeit einzustehen, haben das Wochenende geprägt. Es gab sehr viele Kundgebungen im ganzen Land. Viele Menschen haben ihren Willen gezeigt, sich für die Demokratie einzusetzen. Es soll heute Mittag eine Gedenkminute stattfinden, bei der auch die öffentlichen Verkehrsmittel im ganzen Land stillstehen. Dabei wird es sehr still werden. Gleich im Anschluss wird aber die hochpolitisierte Debatte losgehen. In Schweden wird es in den nächsten Tagen und Wochen politisch intensiv zu- und hergehen.

Das Gespräch führte Hans Inneichen

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