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Schwedische Sozialdemokraten Schwedens Eisprinzessin übernimmt das Ruder

So einig waren sich die schwedischen Sozialdemokraten schon sehr lange nicht mehr: Einstimmig wählten die Delegierten des Parteikongresses am Donnerstag die bisherige Finanzministerin des nordischen Landes, die 54 Jahre alte Magdalena Andersson, zu ihrer neuen Chefin.

Mit ihr will die traditionsreiche Arbeiterpartei bei den Parlamentswahlen im nächsten September erneut zur wichtigsten politischen Kraft werden – und an der Macht bleiben.

Andersson soll scheidendem Premier folgen

Doch zunächst setzen die Sozialdemokraten mit der dienstältesten Finanzministerin in Europa (Andersson ist seit 2014 in dem Amt) auf einen symbolträchtigen Schritt: Als neue Parteivorsitzende soll sie nämlich noch in diesem Monat den amtierenden Regierungschef Stefan Löfven ablösen – und zur Ministerpräsidentin gewählt werden.

Selbstverständlich ist dieser nächste Schritt keineswegs. Im Unterschied zu fast allen anderen Staaten in Europa hatte gerade das für die Geschlechtergleichstellung bekannte Schweden noch nie eine Frau im höchsten Amt des Landes. Die Sozialdemokraten verfügen im nationalen Parlament gerade einmal über 100 der 349 Sitze.

Wie ihr Vorgänger Löfven muss sich Andersson deshalb zuerst der Unterstützung weiterer Kräfte im Reichstag versichern; dazu gehören der grüne Koalitionspartner, das bäuerliche Zentrum und die Postkommunisten.

Anderssons' Wahl bedeutet eine Zäsur

Magdalena Andersson hat sich bislang als eine Art Eisprinzessin in der Öffentlichkeit einen Namen gemacht: Sie gilt als kompetent und durchsetzungsstark, aber auch als unnahbar und mitunter unversöhnlich.

Als Wirtschaftswissenschaftlerin mit Harvard-Abschluss aus der Universitätsstadt Uppsala markiert die Wahl von Andersson eine Zäsur zum bisherigen Partei- und Regierungschef. Stefan Löfven wuchs in einer Arbeiterfamilie in Nordschweden auf, bildete sich zum Schweisser aus und machte sich als Gewerkschaftsboss einen Namen als Kompromiss-suchender Vermittler.

Löfven schaffte damit den Machterhalt der Sozialdemokraten, die wie keine andere schwedische Partei in den letzten hundert Jahren das grösste nordische Land geprägt haben. Aber Löfven misslang es, die grössten Herausforderungen des Landes einer Lösung zuzuführen: Die vierthöchste Arbeitslosigkeit der Europäischen Union und die grassierende organisierte Kriminalität in den Vorstädten des Landes. In keinem anderen Land Europas sterben derzeit so viele Menschen durch Waffengewalt wie im nordischen Wohlfahrtsstaat.

«Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist bedroht»

In ihrer ersten Rede nach der Wahl markierte Magdalena Andersson denn gleich auch eine markante Neufokussierung: «Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist bedroht. Wir werden alles tun, um diese Gewaltspirale zu stoppen.»

Damit knüpft Andersson an die Rhetorik ihrer Amtskollegin Mette Fredriksen an: Diese führt seit sechs Jahren nicht nur die dänischen Sozialdemokraten, sie hat sich als Regierungschefin in den letzten beiden Jahren auch europaweit einen Namen als «Hardlinerin» in der Einwanderungs- und Kriminalitätspolitik gemacht.

Mit Magdalena Andersson haben die schwedischen Sozialdemokraten tatsächlich Chancen, den sich laut Meinungsumfragen abzeichnenden Rechtsrutsch und damit verbundenen Machtwechsel noch abzuwenden – indem Andersson nicht nur das Ruder innerhalb der eigenen Partei an sich reisst, sondern den nationalkonservativen Parteien auch die wichtigsten Wahlkampfthemen wegnimmt.

Bruno Kaufmann

Nordeuropa-Korrespondent

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Bruno Kaufmann berichtet seit 1990 regelmässig für SRF über den Norden Europas, von Grönland bis Litauen. Zudem wirkt er als globaler Demokratie-Korrespondent beim internationalen Dienst der SRG mit.

Tagesschau, 04.11.2021, 19:30 Uhr

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