Ashburnham Road in Ham im Süden von London: Backsteinhäuser, schmucke Vorgärten, triste Hinterhöfe. Kurz: Englische Vorstadt. Nicht ganz ins Bild passt die rot-weisse Kunststoff-Kuh. Sie ist das Markenzeichen der Schweizer Bäckerei, wo André Brogli seit den frühen Morgenstunden in der Backstube steht.
«Der Solij, mein Mitarbeiter und Sous-Chef, produziert jetzt gerade noch Berner Zwiebelkuchen. Wir müssen ihn jeden Tag frisch machen, denn er läuft extrem gut, die Leute haben ihn sehr gern», sagt Brogli. In der Swiss Bakery in Ham gibt es neben Berner Zwiebelkuchen auch St. Galler-Brot, Seeländer Ruchbrot, Büürli oder Dinkelschrot-Brot.
«Ein englisches Brot ist meist ein weisses Brot. Oft wird bei der Herstellung neben Mehl auch Zucker verwendet. Das Brot ist häufig sehr weich. In der Schweiz verwenden wir für unsere Brote eine Vielfalt verschiedener Mehle: Weizen-, Roggen- oder Dinkelmehl. Doch das ist in England nicht üblich.»
Um wieder einmal in eine Scheibe Schweizer Brot zu beissen, strömt die Kundschaft aus dem ganzen Königreich nach Ham. Nicht selten würden am Samstag Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer selbst aus Birmingham, Wales oder Schottland nach London kommen.
Im Laden mit der rot-weissen Kuh und der Kuckucksuhr wird zu Klängen von Radio Swiss Pop mit Berner Züpfe nicht nur der Hunger gestillt, sondern ebenso das Heimweh. Eine Auslandschweizerin, die seit zwanzig Jahren in Schottland lebe, habe kürzlich vor Freude geweint, als sie den Laden zum ersten Mal betreten habe, erzählt Geschäftspartnerin Tanja Gugger.
Wer mit Sack und Pack ins Ausland aufbricht, will das Andere und Fremde kennenlernen. In London, Quebec oder Nairobi merkt man rasch einmal, dass die Schweiz weder der Nabel noch der Referenzpunkt der Welt ist.
Doch zwei, drei Dinge vermissen in weiter Ferne viele: die Berge, die Muttersprache – und das Brot. Das bestätigt auch eine Bernerin, welche einst in Afrika aufgewachsen ist, jetzt mit ihrer Familie in London lebt und regelmässig in der Swiss Bakery einkauft: «Es ist einfach so schön hier. Es ist ein Stück Heimat. Wenn ich in diese Bäckerei komme, habe ich immer das Gefühl, ich sei ein bisschen zu Hause in der Schweiz. Ich kann hier auch Schweizerdeutsch sprechen, das kann ich in London ja eigentlich nirgendwo tun.»
Der 42-jährige André Brogli aus Zürich und die 41-jährige Tanja Gugger aus dem bernischen Ins sind vor zwölf Jahren nach der Hotelfachschule in die Fremde aufgebrochen. In London produzierten sie zuerst in einer Garage kleine Brötchen, die sie mit einem alten Lieferwagen an Restaurants und Hotels auslieferten.
Zu den ersten Kunden gehörte auch der Schweizer Spitzenkoch Anton Mosimann. Und dieser bestelle noch heute in der Swiss Bakery Brötchen, wenn er auf Schloss Windsor gelegentlich royale Gäste bekochen müsse, erzählen Brogli und Gugger.
Seit vier Jahren sind sie nicht mehr mit dem Lieferwagen unterwegs, sondern betreiben die Swiss Bakery in Ham – der Ort, den man aufsucht, wenn man Heimweh nach St. Galler Brot, Zopf oder Mutschli hat. Und diese landen wohl gelegentlich sogar auf dem Tisch des Königs.