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Der ungarische Wirtschaftstraum erfüllt sich nicht
Aus Echo der Zeit vom 21.09.2021. Bild: SRF Sarah Nowotny
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Schweizer Sensorhersteller Der «beste Schweizer Arbeitgeber» produziert jetzt in Ungarn

Die Stadt Debrecen boomt auch dank Schweizer Firmen. Aber der wirtschaftliche Anschluss an den Westen wird noch lange nicht wahr.

Ingenieur Laszlo Abraham hält ein Gerätchen in der Hand, das aus Innereien eines Computers gemacht ist. Es ist ein Sensor von Sensirion. «Das Lämpchen ist grün», sagt er.

Grün ist die wichtigste Farbe in dieser Geschichte aus dem fernen Osten Ungarns: Giftgrün der Schriftzug «Sensirion» am frisch gebauten Glashaus, dunkelgrün die Wiesen rundherum, zartgrün die Hoffnung, dass die Stadt Debrecen gross und reich wird. Auch die Luft in der Fabrik ist im grünen Bereich. «Kaum Kohlendioxid hier», sagt Laszlo Abraham.

Studenten der ETH Zürich haben Sensirion gegründet, heute loben viele das Unternehmen über den grünen Klee. Regelmässig wird Sensirion ausgezeichnet als einer der besten Arbeitgeber der Schweiz. Wohl in jedem dritten Auto steckt ein Sensirion-Sensor. Und jetzt, wo man das besonders dringend braucht, baut Sensirion Sensoren, die messen, wie viel Luft durch Beatmungsgeräte fliesst.

Playstation und Obstbäume

Sensirion hat also eine neue Fabrik im ungarischen Debrecen. Ingenieur Laszlo Abraham bereitet hier alles vor. Auf 5000 Quadratmetern wird hier kalibriert, produziert und gelagert. Aber auch gespielt.

Laszlo Abraham öffnet die Tür zu einem grossen Raum. «Das ist unser Freizeitraum; wir möchten, dass unsere Leute glücklich sind.» Playstation und Darts werden Angestellte hier spielen. Draussen vor der Tür sollen bald Obstbäume wachsen und es wird einen künstlichen See geben.

Hundert haben sich gemeldet, als Sensirion für den Anfang vier Ingenieure aus der Gegend suchte – für das Doppelte des Mindestlohns. Bald schon werden hier 200 Leute arbeiten.

Wir möchten, dass unsere Leute glücklich sind.
Autor: Laszlo Abraham Ingenieur Sensirion

Für Debrecen habe sich Sensirion entschieden, sagt Ingenieur Abraham, weil die Infrastruktur gut sei. Es gibt einen internationalen Flughafen und eine Autobahn. Die Universität bildet jede erdenkliche Art von Ingenieurinnen aus.

Geld vom Staat ist nicht gratis

Ausserdem hilft der ungarische Staat Firmen, die hierherkommen, mit viel Geld: Er übernimmt in manchen Fällen die Hälfte ihrer Investitionen. Sensirion allerdings will kein Geld vom Staat. Denn das gebe es nicht gratis, sagt Laszlo Abraham.

Wer sich helfen lässt, der muss zum Beispiel in einem bestimmten Zeitraum eine bestimmte Anzahl Leute anstellen. «Wenn wir das aus irgendeinem Grund nicht schaffen sollten, bekommen wir Probleme mit der Regierung.» Staatsgeld also nicht – Staatshilfe aber braucht jede neue Fabrik. Die Stadtregierung, sagt Abraham, arbeite ausgezeichnet.

Viel Lob für die Leute aus Orbans Partei

In Debrecen regiert die Partei des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban, dem die Europäische Union oft nicht grün ist. Vize-Bürgermeister Lajos Barcsa empfängt im geschniegelten Stadtzentrum. «Wir sprechen auch ein bisschen Deutsch.», sagt er. Vielleicht ist das ein Grund, warum BMW eine riesige Fabrik baut in Debrecen, warum auch andere Unternehmen aus Deutschland und der Schweiz hergekommen sind – neben etlichen aus ganz Europa.

Ein anderer ist das Geld. «Die Subventionen sind wichtig», sagt Vize-Bürgermeister Barcsa. Genauso wichtig sei aber, dass die Stadt Firmen, die herkommen wollten, von A bis Z unterstütze. Genauso wichtig sei, dass die Stadt wachsen wolle.

Und jetzt klingt Lajos Barcsa wie ein grüner westeuropäischer Politiker: Nicht jeder solle im eigenen Auto herumfahren, er selbst komme mit dem Velo zur Arbeit. Die Grünflächen der Stadt müssten erhalten bleiben. Die Menschen sollten sich hier wohlfühlen, nur so wanderten sie nicht ab – oder kämen sogar zurück.

Die Menschen gehen trotzdem weg

Vor dem Rathaus plätschert ein aufwendiges Wasserspiel, eine junge Frau sitzt auf einer Bank. Sie studiert Medizin. «Debrecen ist viel lebendiger geworden in letzter Zeit. Aber ich werde trotzdem auswandern nach England.»

Bei allem Lob, bei allen neuen Fabriken: Debrecen ist eine Stadt, in der 200'000 Menschen leben – und in der es nur zwei Tramlinien gibt. Eine Stadt, in der es ausserhalb des Zentrums bald einmal weniger hübsch aussieht. Eine Stadt, in der die Löhne nicht nur viel tiefer sind als in Westeuropa, sondern auch deutlich tiefer als in Westungarn. Eine Stadt auch, die aus all diesen Gründen 6000 Menschen verlassen haben in den letzten zehn Jahren – vor allem Junge sind weggegangen.

Ein ungarisches Sensirion

Weit weg vom Stadtzentrum steht Laszlo Abraham am grossen Fenster der neuen Sensirion-Fabrik. Das Zufahrtssträsschen draussen ist schmal und endet abrupt vor einem Erdwall. «Das ist vielleicht nicht gefährlich, aber sicher auch nicht gut.» Wenn Lastwagen anliefern und gleichzeitig die Feuerwehr kommen muss, kann es brenzlig werden. Die nächste Bushaltestelle ist hunderte Meter entfernt.

Eine neue Strasse in der Landschaft. Baumaschinen stehen herum. Sie endet an einem Erdwall.
Legende: Die Zufahrtsstrasse zur neuen Fabrik ist eng. Sensirion

Ungarn, findet Laszlo Abraham, wachse noch nicht so, wie es wachsen sollte. «Heute sind wir froh über jede Fabrik, die kommt. Aber wir fragen uns zu selten, ob uns ein Zuzüger etwas Wertvolles mitbringt.» So kämen Wissen und Technologie noch lange vor allem aus dem Westen – und es profitiere vor allem der Westen davon.

Ungarn hingegen bleibe Zulieferer, ungarische Unternehmen könnten nicht mithalten auf dem Weltmarkt. Eines Tages, findet der Ingenieur, müsste ein Unternehmen wie Sensirion in Ungarn entstehen, damit das Land auf den sprichwörtlichen grünen Zweig komme.

Echo der Zeit, 21.09.2021, 18:00 Uhr

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