Bundespräsidentin Viola Amherd weckte hohe Erwartungen, als sie am 15. Januar gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski einen «Friedensgipfel» in der Schweiz ankündigte.
Nun steht fest: Das Treffen wird vom 15. bis 16. Juni am Bürgenstock im Kanton Nidwalden durchgeführt. Doch trotz der Höhenlage des Austragungsorts vermieden Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis an der Medienkonferenz das «Gipfel»-Wort.
Zumal ein «Gipfel» Staatsoberhäupter zusammenbringt und nicht bloss ihre Ministerinnen und Spitzenbeamte.
Bundesrat dämpft Erwartungen
Von einer «hochrangigen Konferenz» mit etwa 100 Staaten ist jetzt die Rede. Nicht nur mit dieser sprachlichen Finesse dämpft der Bundesrat die Erwartungen, die er einst selbst geschürt hatte.
Zwar vermeldet die «NZZ», der US-Präsident erwäge eine persönliche Teilnahme. Schliesslich weilt Joe Biden in den Tagen davor für den G7-Gipfel ohnehin in Europa. Sollte der mächtigste Mann der Welt auf den Bürgenstock finden, würden sich viele seiner Amtskolleginnen und -kollegen nicht zweimal bitten lassen.
Doch die Anwesenheit Bidens ist nicht sicher. Innen- und aussenpolitische Erwägungen in den Wochen vor dem Treffen dürften den Ausschlag geben.
Frieden wird nicht geschlossen
Selbst wenn der Bürgenstock Mitte Juni zum «Gipfel»-Ort wird – «Frieden» wird dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geschlossen. Amherd sprach heute nur noch vom «Start eines Friedensprozesses» und räumte ein, der Erfolg dieses Prozesses sei ungewiss.
Gastgeberin der Bürgenstock-Konferenz ist die Schweiz, treibende Kraft dahinter Selenski. Er will, dass sich möglichst viele Staaten hinter seinen Zehnpunkteplan stellen und damit hinter einen Frieden auf der Grundlage der völkerrechtlich anerkannten Grenzen der Ukraine.
Bloss: Russland will das nicht und ist nicht ans Treffen eingeladen. Wenn der russische Aussenminister kommende Woche seinen chinesischen Amtskollegen besucht, wird er ihn vermutlich dazu drängen, dem Treffen auch fernzubleiben.
Kommt China auf den Bürgenstock?
Wobei China, dem mächtigsten Land nach den USA, eine Schlüsselrolle zukommt. China dürfte zwar wenig begeistert sein vom Ukrainekrieg, doch es unterhält mit Russland eine «strategische Partnerschaft» und ist seinem Partner bisher nicht in den Rücken gefallen.
Selenski aber will Russland mit dem Bürgenstock-Treffen international isolieren. Das wiederum könnte, auch ansatzweise, nur gelingen, wenn China teilnimmt – am besten in der Person von Staatschef Xi Jinping.
Die Schweizer Diplomatie weibelt seit Monaten intensiv dafür und will deshalb nicht nur Selenskis Zehnpunkteplan auf der Tagesordnung haben, sondern auch Chinas Zwölfpunkteplan. Dennoch ist ungewiss, ob China eine hochrangige Delegation in die Schweiz schicken wird.
Schwierige Ausgangslage
Das Bürgenstock-Treffen wäre damit nicht viel mehr als ein weiterer Friedensversuch in einer langen Reihe von Verhandlungen und Plänen aus der ganzen Welt, initiiert etwa von Israel, der Türkei, vom Papst und von afrikanischen Staatschefs.
Sie alle scheiterten bisher an der Unvereinbarkeit der Standpunkte der Kriegsparteien. Russland denkt nicht daran, sich aus den völkerrechtswidrig eroberten Gebieten zurückzuziehen; und die Ukraine ist nach mehr als zwei Jahren Krieg und Zehntausenden von Toten nicht bereit, Gebiete abzutreten.
Der Bundesrat war deshalb gut beraten, an der Medienkonferenz vor allem Erwartungen zu dämpfen – die selbst geschürten Erwartungen an einen «Gipfel», der Frieden schaffen könnte.