Hat sich die Lage entspannt? Keineswegs: Die Fronten im Katalonien-Streit zwischen Barcelona und Madrid bleiben verhärtet. Gestern Dienstag hat das katalanische Parlament die Wahl eines neuen Regionalpräsidenten auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Parlament begründet dies offiziell damit, dass es keine Garantien für eine echte Debatte über die Präsidentenwahl gebe. Dies, weil das Verfassungsgericht in Madrid am Wochenende entschieden hatte, dass Carles Puigdemont für seine Wahl persönlich anwesend sein müsse. Allerdings geniesst der Separatistenführer keine Immunität und könnte bei seiner Rückkehr verhaftet werden. Er hält sich deswegen nach wie vor im belgischen Exil auf.
Wie geeint sind die Separatisten? Sie sind seit derzeit gespalten. Denn die inoffizielle Erklärung für den politischen Stillstand liegt laut der Journalistin Juila Macher im «ewigen Tauziehen» zwischen den Unabhängigkeitsparteien: «‹Junts per Catalunya, die Liste von Carles Puigdemont, hat die Linksrepublikaner gedrängt, eine Wahl auch gegen den Willen des Verfassungsgerichts durchzuführen – per Skype oder Videoschalte.» Der Parlamentspräsident sperrte sich dagegen, weil er damit die Aussetzung des Plenums und eine Anklage vor Gericht riskiert hätte: «Und wahrscheinlich würde er auch eine Haftstrafe erhalten», so Macher.
Welche politische Vision verfolgen die Separatisten? Derzeit beobachtet Journalistin Macher in Katalonien vor allem eines: Die verschiedenen Fraktionen der Unabhängigkeitsbewegung beäugen sich argwöhnisch und wachen darüber, dass die jeweils andere Seite nicht abtrünnig wird. «Im Zweifelsfall ziehen sie sich gegenseitig über eine rote Linie auf die radikalere Seite.» Im Oktober gaben die zersplitterten Separatisten ein Muster davon ab: Puigdemont wollte Neuwahlen ausrufen, um an einer Unabhängigkeitserklärung vorbeizukommen: «Die Linksrepublikaner warfen ihm postwendend Verrat vor, worauf Puigdemont die Unabhängigkeit ausrief – mit dem bekannten Ergebnis.»
Warum kann sich Puigdemont noch halten? Ende Oktober wurde Puigdemont von Madrid als Chef der Regionalregierung abgesetzt. Seither lebt er im Brüsseler Exil. Obwohl die Zentralregierung in Madrid niemals mit der erneuten Wahl Puigdemonts zum Regionalpräsidenten einverstanden wäre, hält Katalonien aber weiter an ihm fest. Macher begründet dies damit, dass das zentrale Wahlversprechen der Unabhängigkeitsbewegung die Wiedereinsetzung der legitimen Regierung gewesen sei: «Und für diese steht Puigdemont: Er war Spitzenkandidat beider Parteien und hat im Exil sehr geschickt an seiner Rolle als Symbolfigur gearbeitet.» Dass er zurückkehre und sich verhaften lasse, sei aber vorderhand unwahrscheinlich.
Welchen Spielraum hat Madrid? Journalistin Macher geht angesichts der verfahrenen Lage davon aus, dass es über kurz oder lang Neuwahlen geben könnte: «Eventuell werden auch die Zwangsmassnahmen aus Madrid verlängert.» Für diese repressive Haltung erntet der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy jedoch zunehmend Kritik. Er versuchte den Konflikt bislang fast ausschliesslich über das Verfassungsgericht und die Staatsanwaltschaft zu lösen. «Mit dieser Strategie ist er am Ende: Wenn Verfassungsrichter Politik machen, ruiniert das die Glaubwürdigkeit der Institutionen», sagt Macher.
Wie geht es weiter? Macher diagnostiziert, dass das politische Klima in Spanien mittlerweile vergiftet sei. Auch und vor allem, weil Anführer der Unabhängigkeitsbewegung in Untersuchungshaft gesteckt worden seien: «Bisher hat zwar noch niemand aus dem Block der grossen verfassungstreuen Parteien den Rücktritt von Rajoy gefordert. Über kurz oder lang könnte das aber passieren», sagt Macher. Unabhängig von der politischen Zukunft von Rajoy oder Puigdemont geht die deutsche Journalistin davon aus, dass der Katalonien-Konflikt noch lange weiter schwelen wird: «Das Tauziehen kann noch Monate, vielleicht auch Jahre dauern. Was das generelle Klima angeht, wäre es dringend geboten, Gegensteuer zu geben.»