«YOU’RE FIRED!»: In seiner Reality-Show «The Apprentice» belustigte Donald Trump ein Millionenpublikum. Wer mit dem damaligen Immobilienmogul konnte, durfte auf Starthilfe im Haifischbecken New York hoffen. Wer nicht performte, den warf er dem Fernsehpublikum zum Frass vor.
In seiner zweiten Amtszeit als amerikanischer Präsident hat Trump das Format (quasi) neu aufgelegt: Im Oval Office spielten sich in den letzten Monaten Szenen ab, die Trump unverhohlen als «grossartiges Fernsehen» bezeichnete. So etwa, als er den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski vor den Augen der Weltöffentlichkeit «feuerte».
Freundlich, aber unbestimmt
Einer, der ganz entspannt vor dem Kamin mit Churchill-Büste Platz nahm, ist Mark Rutte. Freundlich, aber unbestimmt moderierte er Trumps Annexionspläne für Grönland weg:
Mark Rutte: «Ich würde mich aus dieser Diskussion herausnehmen»
Seit letztem Herbst ist der Niederländer Generalsekretär der Nato. Obwohl Trump ein unterkühltes Verhältnis zum westlichen Verteidigungsbündnis pflegt, bereitete er Rutte einen warmen Empfang im Weissen Haus. Denn Rutte gilt als Trump-Flüsterer unter den europäischen Spitzenpolitikern. Warum eigentlich?
In seinen 14 Jahren als niederländischer Premierminister hat er sich den Spitznamen «Teflon-Mark» erarbeitet. Keine Kritik und kein Skandälchen blieben an ihm haften. Rutte gilt als freundlich, jovial und ist gerne auch in Sneakern und Jeans unterwegs. Über sein Privatleben ist kaum etwas bekannt. Ausser, dass der Traumschwiegersohn ewiger Single ist.
Nun orchestriert Rutte den Nato-Gipfel in seiner Heimatstadt Den Haag. Das Treffen wird zur Belastungsprobe für das transatlantische Verhältnis. Rutte wird die Aufgabe zufallen, den sprunghaften amerikanischen Präsidenten bei Laune zu halten.
Kalkulierte Unterwerfungsgesten?
«Es wird schon als Erfolg gelten, wenn es keinen Eklat gibt», schätzt Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent von SRF. «Wenn es Rutte gelingt, Trump an Bord zu halten und ihn gleichzeitig davon abzubringen, sich kritisch über die Nato oder die europäischen Verbündeten zu äussern, dann werden ihm alle auf die Schultern klopfen.»
Vor dem Gipfel haben sich die Nato-Staaten verpflichtet, ihre Militärausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen. Das dürfte bereits beschwichtigende Wirkung auf den US-Präsidenten haben, hofft man diesseits des Atlantiks.
Rutte nutzt Trumps Geltungsdrang und Eitelkeit.
Hoffnungen setzt man auch in den nüchternen Charme des Generalsekretärs. Dass er mit Trump kann, war nämlich wichtiger Grund dafür, dass Rutte vor einem Jahr ins Amt gewählt wurde.
Gsteiger attestiert Rutte denn auch taktisches Geschick im Umgang mit Trump: «Er nutzt dessen Geltungsdrang und Eitelkeit. Das mag für Beobachter unterwürfig, ja mitunter sogar peinlich wirken.» Es sei aber wohl nötig, um Trump seitens der Nato einigermassen bei der Stange zu halten.
Den «heterogenen Haufen» zusammenhalten
Zudem hat der liberal-konservative Politiker in seinen langen Jahren als niederländischer Regierungschef bewiesen, dass er zwischen den politischen Polen navigieren und unterschiedliche Koalitionen schmieden kann.
Das dürfte ihm auch im «heterogenen Haufen» der 32 Nato-Mitgliedstaaten zugutekommen, schliesst Gsteiger. «Die Launenhaftigkeit und der Wankelmut des amerikanischen Präsidenten bleiben aber auch für ihn eine ständige Herausforderung.»