Das Wichtigste in Kürze
- Fast jeder dritte ehemalige EU-Parlamentarier und über die Hälfte der ehemaligen EU-Kommissare arbeiten heute für Organisationen mit Eintrag im EU-Lobbyregister.
- Das zeigt eine Untersuchung der Karrieren von 485 früheren Abgeordneten des EU-Parlaments sowie von 27 seit 2009 ausgeschiedenen EU-Kommissionsmitgliedern.
- Die Auflagen für den Wechsel von EU-Beamten und Politikern in den Lobbyismus sind nach Einschätzung von Transparency International unzureichend. Interessenkonflikte drohen.
Nach ihrer Arbeit für die Europäische Union finden Kommissions- oder Ratsmitglieder häufig eine Aufgabe in einer Lobby-Organisation oder in der Privatwirtschaft. Prominentestes Beispiel ist der ehemalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der zur Investmentbank Goldman Sachs gewechselt hat.
Ein Bericht von Transparency International zeigt nun: Fast jeder dritte EU-Parlamentarier und gar jedes zweite EU-Komissionsmitglied hat die Seiten gewechselt.
Verschärfte Auflagen gefordert
Das könne die Zusammenarbeit erleichtern, aber auch zu heiklen Interessenkonflikten führen, schreiben die Autoren eines in Brüssel vorgestellten Transparency-Berichts. «Es geht uns nicht darum, jede Art von Wechsel zu verbieten», sagte Daniel Freund, einer der Autoren des Papiers. Die Vorkehrungen gegen den Missbrauch von Einfluss früherer EU-Kommissare seien aber zu lasch.
Für EU-Abgeordnete gebe es keine Auflagen. «An dem Tag, an dem sie aus dem Amt scheiden, können sie machen, was sie wollen», kritisiert Freund. Für EU-Kommissare gelten für die ersten 18 Monate zwar klare Auflagen. Transparency verlangt aber eine Ausdehnung dieser «Abkühlperiode» auf drei Jahre.
EU-Kommission teilt Ansicht nicht
Für Ex-Parlamentarier fordert die Organisation ein Lobbyingverbot, solange diese noch Steuergelder erhalten. Längerfristig plädiert Transparency für eine unabhängige Behörde, die mögliche Interessenkonflikte im Auge behalten soll. Die EU-Kommission selbst zählt ihre Anti-Lobby-Regeln zu den strengsten der Welt.
Einschätzung von SRF-Korrespondent Oliver Washington in Brüssel
«Man stelle sich vor, eine frühere EU-Parlamentarierin oder ein früherer EU-Kommissar eignet sich während der Zeit bei der EU Wissen an und legt sich ein Netzwerk zu. Dann wechselt er oder sie zu einem Unternehmen, kann dort dieses Wissen abrufen und auf dieses Netzwerk zurückgreifen. Die Folge ist, dass das Unternehmen damit Vorteile gegenüber Konkurrenten hat. Ein weiteres Problem ist das Bild, das mit so einem Wechsel abgegeben wird. Es kann leicht der Eindruck entstehen, dass die EU und die mächtigen Konzerne alle unter einer Decke stecken. Und spätestens seit Donald Trump wissen wir, dass damit im Wahlkampf bestens Stimmung gegen das sogenannte Establishment gemacht werden kann.» |