Gebaut Ende der 1970er-Jahre, ist es ein Modell aus einer Zeit grosser Wohnungsnot in Rom: «Il Corviale» sollte nicht nur moderne Wohnungen, sondern auch Geschäfte, Theater und Sportplätze umfassen. Es sollte eine utopistische Wohnmaschine sein, genannt «il Serpentone» – die Riesenschlange. Einen Kilometer lang, aus Beton und im Grünen.
«Als ich diese Wohnung zugewiesen erhielt, war das, als ob das Licht gekommen sei», erinnert sich Angelos Scampioni, der seit Jahrzehnten hier lebt und sich für die Belange der Bewohnerinnen und Bewohner einsetzt. «Licht hatten wir, aber bei Licht gesehen, war es eine Schande. Unsere Wohnung bestand nur aus vier Wänden.» Tatsächlich, die Einziehenden befanden sich 1982 bei der Eröffnung im Nichts.
Erst die Wohnungen, dann der Rest
Das Gebäude war nicht fertig gebaut. Es gab keine Hausverwaltung, keine Infrastruktur in der Gegend, keine Busverbindung, keine Läden im Gebäude. 8000 Menschen landeten im grünen Nichts. Das sei ein typisches Problem im damaligen Italien gewesen, erklärt Francesco Careri, Professor für Architektur an der Universität Roma Tre.
Oft seien zuerst Wohnungen gebaut und erst danach die Infrastruktur erstellt worden. «Aber dieses Danach hat in der Realität zehn Jahre später bedeutet.» Der Corviale wurde zu einem sozialen Brennpunkt.
Drogenkriminalität, Verwahrlosung: Wann immer in Italien über soziale Probleme berichtet wurde, egal ob in Palermo, Neapel oder Mailand – hinter dem Moderator sei immer ein Bild des Corviale erschienen.
Alte Bewohner, kaputte Leitungen
Der vierte Stock, ursprünglich für Läden gedacht, wurde besetzt und zu provisorischen Wohnungen umgebaut. Pfarrer Don Roberto war entsetzt, was er dort sah: «Vier Quadratmeter zum Wohnen, keine Dusche, eine winzige Kochnische. Und das in den 2000er-Jahren in Italien!»
Dieses vierte Stockwerk wurde jetzt geräumt, neue Wohnungen bereitgestellt. Die Kriminalität ist deutlich zurückgegangen, doch strukturelle Probleme bleiben. Denn 40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner des Corviale sind alt und alleinstehend. Zwei Drittel leben illegal hier, zahlen keine Miete und zapfen Strom und Wasser ab.
Die Infrastruktur des Corviale ist in einem erbärmlichen Zustand. Als Wasser durch die Decken drang, habe es Monate gedauert, bis der Schaden repariert worden sei, erzählt Adriano Sias, der hier als Jugendlicher lebte und heute das Anwohnerkomitee leitet. «In einem Keller stand das Wasser sechs Monate lang 30 Zentimeter hoch. Im gleichen Raum waren aber elektrische Installationen.»
190 Milliarden Euro erhält Italien aus dem Corona-Aufbaufonds aus Brüssel, die grosse Chance für das Land. Eine grosse Chance ist es auch für den Corviale. 90 Millionen Euro sollen für die äusserliche Sanierung, vor allem Wärmedämmung des Gebäudes und die umliegende Infrastruktur bereitgestellt werden. Eine erfolgreiche Sanierung des Corviale könnte ein Symbol für ganz Italien werden, sagt Careri.
Halb so viele Bewohner wie zu Beginn
Aber wird der Corviale ein Erfolgsmodell? Der Architekt würde das Geld ganz anders ausgeben und zum Beispiel die grossen Wohnungen in mehrere kleine umwandeln. Denn viele von ihnen stehen leer. Sie wurden für kinderreiche Familien konzipiert und dürfen nur an solche vergeben werden.
So hat der Corviale heute nur noch halb so viele Bewohnerinnen und Bewohner wie einst – trotz grosser Wohnungsnot. «Aber mehr als mich immer wieder zu wiederholen, kann ich leider nicht», sagt Gareri. Am Ende entscheidet die Politik. Sie geht nicht auf seinen Vorschlag ein.